Skyguide ist nicht alleine Schuld (Ausgabe 2007-21)

Hansjörg Bürgi, Chefredaktor des Luftfahrtmagazins SkyNews.ch

Nur wenige Wochen nach dem Swissair-Prozess ist die Bülacher Stadthalle dieser Tage zum Schauplatz eines weiteren unrühmlichen Kapitels der Schweizer Luftfahrt: Auf der Anklagebank sitzt die Flugsicherung Skyguide, welche den Zusammenstoss zweier Airliner am 1. Juli 2002 über Überlingen mitzuverantworten hat. 72 Menschenleben hat die Katastrophe gefordert – 71 durch die Katastrophe in der Luft und jenes des diensttuenden Fluglotsen, der vom Vater eines Opfers ermordet wurde.

Doch die Schuld alleine nur Skyguide zuzuweisen, wäre verfehlt. Der Unfall hat einen fatalen Systemfehler zu Tage gefördert. Im Januar 2002 ist in Europa der obere Luftraum neu organisiert worden. Durch die Verringerung des vertikalen Mindestabstandes der Flugzeuge von 2000 auf 1000 Fuss (rund 300 Meter) konnte die Kapazität massiv erweitert werden. Aufgrund des erhöhten Kollisionsrisikos hat Eurocontrol vorgeschrieben, dass nur Flugzeuge in diesem oberen Luftraum verkehren dürfen, die über ein Antikollisionssystem (Traffic Collision and Avoidance System TCAS) verfügen. Was jedoch nicht vorgeschrieben wurde, war eine einheitliche Handhabung dieses ausgeklügelten Systems, das – ohne Eingriff des Menschen – zwei Flugzeuge automatisch vom Kollisionskurs abbringt.

Jede Airline erarbeitete so eigene TCAS-Regeln: In Westeuropa war klar, dass der Warnung auf dem Bildschirm im Cockpit erste Priorität, vor den Anweisungen der am Boden sitzenden Fluglotsen, zukommt. Nicht so im nach wie vor eher obrigkeitsgläubigen Osten: Dort «gehorchen» die Piloten in erster Linie den Fluglotsen und nicht dem Computer an Bord. So auch der Captain der Tupolev von Bashkirian Airlines: Obwohl ihn das TCAS zum Steigen aufforderte, drückte er die Steuerkonsole nach unten, weil es der Flugverkehrsleiter so anordnete. Deshalb kollidierte die Tupolev mit der Boeing 757 von DHL, deren Crew die Sinkanweisung des TCAS befolgt hat.
Die «Katastrophe von Überlingen» hätte sich auch im Verantwortungsgebiet einer anderen Flugsicherung ereignen können. Skyguide hat aus ihren unverzeihlichen Fehlern gelernt – Eurocontrol und die russischen Piloten hoffentlich auch.