«Airlines im Zeichen von Corona: Ist der Bailout gerechtfertigt?»

INSIDER-KOLUMNE von Peter Baumgartner. Er war für Swissair, Swiss und als CEO für Etihad Airways tätig, zuletzt in der Funktion eines Senior Strategic Advisor Etihad Aviation Group.

von Peter Baumgartner

«Staatshilfen für Airlines auf der ganzen Welt, Millionen Passagiere, die um die Rückerstattung bereits bezahlter Tickets kämpfen müssen, ungewisse Zukunft für Airlines und Zulieferer – die Corona-Krise bedeutet einen herben Rückschlag für die Aviatik. Doch sind die massiven Liquiditätsengpässe der Fluggesellschaften nicht auch selbstverschuldet?

Monatelang standen die Flugzeuge weltweit still, waren die Flughäfen gespenstisch leer, die Hoteltüren verschlossen. Covid-19 prägte die ganze Welt und damit auch die Luftfahrt. Schnell wurden für Fluggesellschaften milliardengrosse Rettungspakete beschlossen. Sie sollten sicherstellen, dass die Flugzeuge bald wieder abheben und Millionen Menschen weltweit ihre Stellen nicht verlieren würden.

Das, obwohl das letzte Jahrzehnt für die Luftfahrt weltweit bemerkenswert erfolgreich war. Jahr für Jahr stieg das Passagieraufkommen, Prognosen sprachen von einer Verdoppelung der Passagierzahlen bis 2040. Airlines verdienten gutes Geld trotz steigendem Preisdruck.

Doch seien wir Aviatiker einmal ehrlich: Mit diesem selbst-inszenierten Nachfrage-Boom – getrieben durch Überkapazität und die einhergehende Abwärtsspirale der Ticketpreise – hat die Industrie sich auch in eine höchst gefährliche Abhängigkeit von einem hoch-volatilen Segment von Kunden manövriert, das bei jedem Schock mit einer enormen Masse und all seinen Konsequenzen wegbricht. Somit gehörten Fluggesellschaften auch zu den ersten Unternehmen, die im Zuge der Corona-Pandemie um Staatshilfe baten – und diese auch relativ schnell zugesprochen bekamen. Das stösst in der Bevölkerung, und nicht selten bei Politikern – auf Gegenwehr. Warum müssen Steuerzahler Fluggesellschaften retten, die jahrelang hohe Gewinne erzielten? Schon wieder?

Starke Fluggesellschaften braucht das Land

Fakt ist: Der Flugverkehr ist teuer. Flugzeuge kosten schliesslich auch, wenn sie nicht fliegen. Rund 50 Prozent aller Kosten einer Fluggesellschaft entfallen im Normalfall auf die Flugtätigkeit. Der Rest für Wartung, Gebühren, Saläre, Leasing und vieles mehr fällt aber auch an, wenn die Flugzeuge stillstehen. Selbst Airlines in der Gewinnzone halten so einen Stillstand nicht lange durch.

Es stellt sich die Frage: Braucht es jede Airline, jede Flugroute, in ihrer heutigen Form? Wir wissen es selbst: Wahrscheinlich nicht. Aber: Eine Schweiz ohne starke Anbindung an das Verkehrs- und Logistiknetz dieser Welt? Unmöglich! Wir müssen Personen- und Frachttransporte sicherstellen, ganz besonders in Krisenzeiten. Wir müssen unser Land wirtschaftlich und touristisch so eng wie möglich vernetzen – multimodal, sonst verlieren wir, gerade als kleiner Markt.

Schliesslich, auch wenn das Argument manchmal etwas rasch kommt: Es geht um viele Tausend Arbeitsplätze – nicht nur bei den Airlines, auch bei den Groundhandlern, den Caterern, den Reisebüros, den Flughäfen selbst und den eingemieteten Geschäften, den Flugsicherungen und nicht zu vergessen bei Hotellerie und Gastronomie sowie den vielen Betreibern des breiten Tourismus- und Freizeitangebots. Natürlich ist es absolut in unser aller Interesse, den Flugbetrieb vor dem Konkurs zu retten.

Keine bedingungslose Hilfe

Oft wird diskutiert, ob mit der Unterstützung vom Staat Forderungen verknüpft sein sollen. Und teilweise wird dies auch getan, beispielsweise darf die Swiss die Gelder nur dazu nutzen, die Schweizer Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Die Mittel dürfen nicht ins Ausland abfliessen, wasbeispielsweise Swissport vor grosse Probleme stellt. Aber auch Klimaziele wie die Verringerung des CO2-Ausstosses, höhere Cash-Reserven statt Aktienrückkäufe oder eine Verpflichtung zur Absicherung der Kundengelder sind Teil der Diskussion.

So sehr diese Diskussion nötig ist: Für mich ist das aus Branchensicht mehr oder weniger ein Nebenschauplatz. Ich habe eine ganz andere Frage:

Wo bleibt die Sicht auf Kundenbedürfnisse?

Im Moment, so scheint es mir, sind Airlines etwas sehr bequem: Kundengeldabsicherungen sind offenbar schlicht kein Thema, Tickets müssen weiterhin Monate vor Erbringung der Leistung bezahlt sein, Kunden und Reisebüros müssen um Rückerstattungen kämpfen – oder erhalten diese schlichtweg nicht. Vom Staat gerettete Airlines versuchen, die Passagiere mit Vouchern und kostenlosem Umbuchen dazu zu bringen, ihr Geld nicht zurückzuverlangen. Eine klare Kommunikation rund um das Re-Opening und «New Normal» steht offenbar auch nicht unbedingt überall im Vordergrund. Das ist das Gegenteil dessen, was jetzt angesagt wäre: Kundennähe, Kundennähe, Kundennähe!

Es ist im Interesse von uns allen, gesunde Fluggesellschaften zu behalten. Unternehmen und Staaten – also auch die Steuerzahler – müssen dafür zusammenarbeiten. Und die nächsten Herausforderungen stehen schon an: Wenn es der Reisebranche nicht gelingt, ihre Gäste davon zu überzeugen, so schnell wie möglich wieder ins Flugzeug zu steigen, schlittern sie schneller auf den nächsten Liquiditätsengpass zu, als ihnen lieb ist. Dabei geht es darum, strikte und langfristige Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen auszuarbeiten und umzusetzen, welche die Passagiere vor der heutigen und den unvermeidlichen zukünftigen Gefahren schützen. Und gleichzeitig den Komfort des Reisens nicht allzu sehr in Mitleidenschaft ziehen.

Zugegeben, das ist einfacher gesagt als getan. Jedoch sind die hierfür relevanten Themen, wie zum Beispiel die digitale und technologische Transformation, nun definitiv nicht mehr auf die lange Bank zu schieben. Nicht zuletzt sind diese seit langem zuoberst auf der Prioritätenliste des Branchenverbandes IATA, mit Programmen wie beispielsweise ‘Seamless Travel’.

Gelingt dieser Durchbruch nicht, wird die Branche ihr nächstes Déja-vu erleben, so sicher wie das Amen in der Kirche. Ob der Staat dann noch einmal einspringen wird? Wenn wir uns nicht jetzt endlich stärker an Kundenbedürfnissen orientieren, haben wir es überhaupt verdient, gerettet zu werden? Wie lange wird der zuverlässige Deckmantel der System-Relevanz noch ausreichen? Das wissen nur die Götter der Lüfte.»