Beispiellose Krise: «Reisebranche wir müssen reden!»

INSIDER-KOLUMNE von Kurt Eberhard. Der als «Travel Personality of the Year 2016» gekürte Reiseprofi kommentiert im TRAVEL INSIDE aktuelle Themen.
Kurt Eberhard

«Die schwierige Lage, in welcher sich unsere Branche befindet, führt zu Verwerfungen bisher unvorstellbaren Ausmasses. Nicht wenige fragen sich zur Zeit, ob das eigene Unternehmen eine Zukunft hat und wenn ja, wie diese aussieht? Auch wenn die jüngsten Entwicklungen wieder etwas Hoffnung aufkommen lassen, bleibt die Befürchtung, dass diese beispiellose Krise uns noch eine Weile beschäftigen wird.

Konkordanz statt Dissonanz

Wie sieht es auf der Ebene von Verbänden und Interessengruppen aus? Unsere Branche hat im Moment dringendere Probleme, als das Verbandswesen zu reformieren. Trotzdem, nun ist ein guter Zeitpunkt, vorausschauend darüber nachzudenken. Der Stress ist überall spürbar. Deals, die nicht erreicht werden können oder politische Entscheidungen, die den eigenen Interessen massiv entgegenwirken, führen verständlicherweise zu Nervosität.

Der Führungsanspruch des SRV ist auf Grund der relativ hohen Anzahl von Mitgliedern und auch aus historischer Sicht nicht grundsätzlich zu bestreiten. Allerdings hört man nicht selten den Vorwurf, der SRV sei in erster Linie das Sprachrohr der grossen Reiseunternehmen. Die beanspruchte Führungsrolle des SRV wird deshalb von nicht wenigen angezweifelt.

  • Aus eigener Erfahrung, ich war selber einige Jahre im Vorstand, finde ich diese Unterstellung wenig fundiert. Trotzdem muss man sich im SRV fragen, warum man von aussen so wahrgenommen wird? Ist es nur ein Kommunikationsproblem oder politisiert man an der Branche vorbei?

Es gibt in unserer verhältnismässig kleinen Branche zahlreiche Organisationen, die entweder als Verband (SRV), als Einkaufsgemeinschaft (TTS oder IGUR) oder in einer hybriden Form (STAR oder TPA) auftreten. Insbesondere die hybriden Gruppierungen sind  erst entstanden, weil man dem SRV nicht (zu)traute, die Interessen aller zu vertreten.

Insbesondere in der aktuellen Situation hat sich gezeigt, dass es trotz aller Unterschiede möglich ist, mit geeinter Stimme zu sprechen, um sich bei Leistungsträgern, Politikern und Behörden besser Gehör zu verschaffen. Dies, auch wenn sich die Politiker und Bundesbeamten angeblich wunderten, mit wie vielen Ansprechpartnern sie es bei der Reisebranche im Vergleich zu anderen Branchen zu tun hatten. Enttäuschungen über nicht Erreichtes blenden zuweilen aus, dass die politischen Mühlen eben langsam mahlen und, dass das Verhältnis zu den Airlines nicht erst seit dieser Krise schwierig ist. Dran bleiben ist angesagt. Steter Tropfen höhlt den Stein! Auch wenn die erhofften Ziele (noch) nicht alle erreicht werden konnten, kann man ohne Zweifel festhalten, dass die Resultate besser oder mindestens so gut ausfallen, als, wenn jede Interessengruppierung für sich kämpfen würde.

Vom SRV zum SRV2.0

Die aktuelle Krise und die Erfahrung des gemeinsam Erreichten bieten die historische Chance, etwas lauter als auch schon, über einen Neustart des Verbandswesens in der Schweizer Outgoing Branche nachzudenken. Der Druck der Basis, darauf hinzuarbeiten, manifestierte sich jüngst in dahingehenden Äusserungen in den Branchen- und Sozialmedien. Die einen verlangen nach einem Dachverband, die anderen finden das unnötig.

Die Umfrage von TRAVEL INSIDE zu diesem Thema scheint von den TeilnehmerInnen eindeutige Antworten geliefert zu haben. Man ist unzufrieden und wünscht sich eine Veränderung. Der Druck, insbesondere auf den SRV steigt. Das schadet sicher nichts, um unsere Verbandswesen etwas aufzumischen. Zweifel sind allerdings angebracht, dass es sinnvoll ist, nochmals einen zusätzlichen Verband zu fordern. Das würde wohl eher zu einer weiteren Fragmentierung, anstatt zu einer Konsolidierung führen. Vielmehr braucht es umfassende Reformen in den bestehenden Verbandsstrukturen. Das heisst, der SRV sollte im Nachgang dieser Krise umgebaut, erneuert und als «echter» Dachverband positioniert werden.

Ausserdem, die Unternehmen werden ohne Ausnahme (noch) mehr sparen und sämtliche Kosten hinterfragen müssen. Die Verbände und Interessengemeinschaften haben zwar unterschiedliche Finanzierungsmodelle aber auch sie werden sich diesem Spardruck früher oder später nicht mehr entziehen können. Die TTS hat als erste Gruppierung einen um 50% reduzierten Mitgliederbeitrag beschlossen. Unlängst hat auch der SRV bekanntgegeben, die Mitgliederbeiträge vorübergehend um 50% zu reduzieren. Auch wenn diese Reduktionen vorübergehend von Reserven finanziert werden können, der Kostendruck ist definitiv auch bei Verbänden und verbandsähnlichen Organisationen angekommen.

Fazit: Wir sollten miteinander über einen Neustart reden!

Es wäre eine Illusion zu hoffen, dass alle das gleiche wollen. Aber das muss auch nicht das Ziel sein! Nur das, was eine klare Mehrheit will, sollte auch ins Pflichtenheft eines Branchenverbandes geschrieben werden. Wichtige Voraussetzungen für die Konsolidierung in einem einzigen Gefäss, nennen wir es «SRV2.0», sind:

  • Es besteht ein grundsätzlicher Wille zu einer nachhaltigen Veränderung zum Vorteil der Branche. Dieser Wille manifestiert sich u.a. in der Bereitschaft der einzelnen Interessengruppierungen, sich selbst kritisch zu hinterfragen und auf die anderen zuzugehen.
  • Die zukünftige Führung des «SRV 2.0» sollte nach Kriterien einer breiten Abstützung in der Branche zusammengesetzt sein. Darin müssen Vertreter der grossen Reiseunternehmen selbstverständlich nach wie vor eine starke Vertretung haben. Ebenso brauchte es nebst einer ausgewogenen Vertretung der Sprachregionen, Delegierte von STAR, TPA, TTS, IGUR etc. Insbesondere ist auch eine gute Repräsentanz der kleinen Unternehmen eine wichtige Voraussetzung für eine breite Akzeptanz. Dadurch wird der Vorstand vermutlich grösser aber gewinnt auch an Legitimität, die Branche als Ganzes zu vertreten.
  • Frauen machen rund 80% des Personalbestandes unserer Branche aus. Entsprechend gehören in einen künftigen Vorstand mehr Frauen, als dies heute beim SRV der Fall ist. Natürlich immer vorausgesetzt, die Frauen stellen sich auch in genügender Anzahl zur Wahl.
  • Personalien, ob im Vorstand oder der Geschäftsführung, müssten in einem künftigen SRV2.0 unvoreingenommen angegangen werden.
  • Kosten- und Beitragstransparenz.

Die erwähnten Gruppierungen/Interessengemeinschaften würden durch dieses Vorgehen keineswegs ihre Daseinsberechtigung verlieren. Im Gegenteil, sie hätten künftig eine garantierte Repräsentation im «SRV2.0» und wären somit voll in die Entscheidungsprozesse involviert. Man könnte dabei auch eine rabattierte «Gruppenmitgliedschaft im SRV2.0» prüfen. Dies würde einerseits diese Gruppierungen mit Filialnetzen der grossen Reiseunternehmen gleichstellen und ihnen ein wichtiges zusätzliches Argument zum Verbleib der bestehenden Mitglieder oder Beitritt neuer Mitglieder in ihrer Organisation liefern. Die weiteren Tätigkeiten, wie die Zentralisierung von Dienstleistungen oder das Aushandeln von Deals mit Lieferanten etc. für Ihre Mitglieder wären für diese Interessengemeinschaften dadurch in keiner Weise tangiert.

Der SRV2.0 wiederum würde so jeweils auf einen Schlag eine grössere Anzahl von Mitgliedern gewinnen. Vor allem aber müsste er nicht ständig seinen Anspruch als «der Verband» der Schweizer Outgoing Branche rechtfertigen. Auch wenn man nicht selbstverständlich davon ausgehen kann, dass alle auf Anhieb mitmachen würden, wäre damit eine Konsolidierung einer grossen Mehrheit der Branche in einem Verband nicht unrealistisch.

Wenn der SRV2.0 nicht nur Idee bleiben, sondern zu einem Projekt werden soll, braucht es von allen Beteiligten etwas Wille und Mut zur Veränderung. Die Umsetzung könnte man dann bei etwas mehr Klarsicht in ein paar Monaten angehen.

Erneuerungsprogramm für einen Schweizer Reiseverband «SRV2.0»

Auch wenn es dafür noch etwas früh ist, nachstehend ein Szenario, wie die Umsetzung des vorgeschlagenen Veränderungsprozesses in etwa ablaufen könnte:

  1. Um die Neutralität zu gewährleisten, wäre zu prüfen, ob die Gruppe «Aktion Mayday» als «Grassroot Bewegung» die Rolle eines neutralen Vermittlers übernehmen könnte. Die Macher der Bewegung haben in dieser Krise bereits bewiesen, dass sie gewillt sind, die Zukunft der Branche mitzugestalten.
  2. Ein Online-Diskussionsforum könnte für das Einholen von Meinungen und Eruieren von Prioritäten für einen künftigen «SRV2.0» genutzt werden. Alle Branchenteilnehmer, ob Mitglied eines Verbandes oder nicht, wären eingeladen an der Diskussion teilzunehmen.
  3. In einem weiteren Schritt könnten z.B. an einer Videokonferenz diejenigen Voten und Themen, die am meisten Zuspruch erhalten haben, im Detail vorgestellt, diskutiert und anschliessend zu einem Programm für den «SRV2.0» kondensiert werden.
  4. Die einzelnen Verbände und Interessengruppierungen könnten anschliessend eigene ausserordentliche Sitzungen zum Thema Bildung des «SRV2.0» abhalten und über eine definitive Einbindung entscheiden.
  5. An einem Outgoing-Tourismusgipfel würden Delegierte der wichtigsten Gruppierungen der Reisebranche den «SRV2.0» ins Leben rufen. Die VertreterInnen der unterschiedlichen Gruppierungen stellen ihr Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl in den Vorstand.»