Der Boom neuer Cruiseliner bricht ein

In den kommenden Jahren werden markant weniger neue Kreuzfahrtschiffe in Dienst gestellt als bis anhin. Ein analytischer Überblick und Gründe für die Auftragsdelle.
Bricht bald alle Rekorde: Die Icon of the Seas von Royal Caribbean International. ©RCI

Es zeichnete sich längst ab, doch nun belegt das neuste Cruise Ship Orderbook von «Cruise Industry News» klipp und klar, was Sache ist: In den nächsten Jahren wird sich die Zahl der jährlich von den Bauwerften ausgelieferten neuen Kreuzfahrtschiffe deutlich reduzieren.

Konkret: In diesem Jahr (2023) nehmen noch bis Dezember voraussichtlich 20 neue Schiffe Fahrt auf. 2024 schmilzt diese Zahl auf 13 Neubauten um 2025 nochmals auf 18 anzuwachsen. 2026 werden es aber nur noch sieben sein, 2027 sechs und 2028 vier. Dies ergibt von 2024 bis 2028 total 48 neue Cruiseliner.

Ende 2019, also direkt vor Corona, sah es ganz anders aus: Für die Zeitspanne 2020 bis 2027 wurden insgesamt 116 Neubauten aufgeführt. Ein Grossteil davon kam seit 2020 wie vereinbart (aber oft verspätet) in Dienst, was die weit über 20 Neubauten jährlich während und nach Corona erklärt.

Bauserien der Grosskonglomerate
Sechs Explora-Schiffe bis 2028. ©Explora

Die weitaus meisten Schiffe, die also seit 2020 und weiterhin noch zur Auslieferung kommen, wurden bereits in den Boomjahren vor Corona geplant, optioniert oder fix in Auftrag gegeben. Dabei geht es vor allem um bereits eingeführte Bauserien der grossen Konglomerate, die noch fortgeführt oder beendet werden. Hier ein aktueller Ausblick über die noch ausstehenden Neubauten der «Big Four»:

Die Royal Caribbean Group hat Stand heute (September 2023) noch zehn Neubauten ausstehend: Royal Caribbean Int. nimmt Ende Dezember mit der Icon of the Seas eine neue Icon-Bauserie in Dienst und plant bis 2026 noch zwei weitere Einheiten dieser Bauklasse der Rekorde. 2024 ist zudem eine wohl letzte Einheit der Oasis-Klasse (Utopia of the Seas) terminiert.

Celebrity Cruises erhält ebenfalls im Dezember mit der Ascent eine vierte Einheit der Edge-Klasse und setzt diese Serie 2025 mit einem weiteren Neubau fort. Silversea hat diesen Sommer mit der Silver Nova eine neue Bauklasse begründet, die 2024 mit der Silver Ray fortgesetzt wird. Und das Joint-Venture TUI Cruises beendet mit der Mein Schiff 7 im nächsten Jahr die Bauserie der Mein Schiff 1 und 2 und startet mit einem achten Neubau eine neue Bauklasse, die 2026 mit einer weiteren Einheit fortgeführt wird.

Carnival Corporation hat aktuell noch sechs Neubauten ausstehend: Mit der Jubilee erhält Carnival Cruise Line im Dezember die dritte Einheit der Excel-Klasse – weitere CCL-Schiffe sind nicht in der Pipeline. Princess Cruises startet 2024 mit der Sun Princess eine neue Sphere-Bauklasse, für 2025 ist ein Schwesterschiff geplant. Cunard Line erhält 2024 mit der Queen Anne einen neuen Schiffstyp. Und für das chinesische Joint-Venture Adora ist nach der Adora Magic City, die Ende Jahr erwartet wird, 2025 ein ebenfalls in China erbautes Schwesterschiff (Bautyp Vista-Klasse) vorgesehen.

Norwegian Cruise Line Holdings hat derzeit noch sechs Neubauten ausstehend: Mit der Norwegian Prima hat Norwegian Cruise Line in diesem Sommer die zweite Einheit der Prima-Klasse erhalten und will diese (dann etwas grössere) Bauserie bis 2028 um weitere vier Einheiten ausbauen. Auch Oceania hat mit der Vista eben eine neue Bauklasse erhalten, die 2025 mit dem Schwesterschiff Allura erweitert wird.

Die MSC Group hat momentan noch acht Neubauten ausstehend: MSC Cruises hat in diesem Jahr mit der Euribia die Meraviglia-Plus-Klasse abgeschlossen, wird aber bis 2027 noch drei Einheiten der World-Klasse erhalten, die im letzten Jahr mit der World Europa Fahrt aufgenommen hat. In diesem Jahr wurde mit der Explora I zudem die neue Luxus-Marke Explora Journeys lanciert, bis 2028 wird die Flotte auf insgesamt sechs Einheiten aufgestockt.

Verschiedene Bremsfaktoren
Auftragsdelle für die Werften. ©NCL

Seit 2020 haben die Grossreedereien keine Aufträge für neue Schiffe oder Bauserien vergeben, höchstens zuvor geplant Optionen bestätigt. Dies hat verschiedene Gründe: Während Corona brach die gesamte Industrie dramatisch ein, was Gedanken an Neuinvestitionen vorübergehend ausschloss.

Als Folge der Pandemie sind nun die börsennotierten Konglomerate massiv verschuldet, was Expansionsgelüste weiterhin bremst. Ende 2022 betrug der Schuldenberg von Carnival Corp. über USD 35 Mrd., von Royal Caribbean Group rund USD 24 Mrd. und von Norwegian Holdings ca. USD 14 Mrd. Nur MSC dürfte dank der grossen Container-Sparte gut über die Runden gekommen sein.

Was aber gemäss Experten die Investitionslust ebenso hindert, sind die im Raume stehenden künftigen Anforderungen in Bezug auf die Umwelt und das Klima. Bis 2050 will die Cruise-Industrie klimaneutral unterwegs sein – der Weg dahin ist aber noch alles andere als klar.

Die Vorlaufzeit für ein neues Kreuzfahrtschiff von der Planung bis zur Auslieferung beträgt rund fünf Jahre, bei weiteren Einheiten bereits existierender Bauklassen etwas weniger. Wird jetzt ein Neubau bestellt, kommt er frühestens 2027/28 in Dienst. Die Lebensdauer eines Cruiseliners beträgt danach 25 bis 35 Jahre.

Wird ein Schiff mit der heute fortschrittlichsten Technologie gebaut, wird diese meist über das Stichjahr 2050 im Einsatz sein – und dann höchst wahrscheinlich veraltet und nicht den dannzumal geforderten Klimaanforderungen genügend. Ein Nachrüsten ist aber oft nicht möglich, wie etwa aktuell die LNG-Erfahrung zeigt.

Kurz: Die Erneuerung der weltweiten Cruise-Flotten gerät bald ins Stocken, was auch die grossen Bauwerften beschäftigt: Sie tüfteln deshalb fieberhaft an zukunftsfähigen neuen Antriebslösungen, um die absehbare Auftragsdelle der Redereien zu überwinden, und entwickeln auch entsprechend neue Geschäftsfelder.

Weitere Player und Newcomer

Wie oben aufgeführt, kann der Grossteil der noch ausstehenden Neubauten den vier grossen Cruise-Konglomeraten zugeordnet werden. Die restlichen neuen Schiffe, die in den nächsten Jahren ausgeliefert werden, fallen auf weitere Reedereien, die den Ausbau ihrer Flotte schon vor oder während Corona in die Wege geleitet haben:

Viking Ocean: Die US-Reederei nahm 2015 ihr erstes Schiff in Dienst und kommt inzwischen bereits auf zehn typengleiche Einheiten (und zwei Expeditionsschiffe). Bis 2028 sollen mindestens sechs weitere identische Liner folgen.

The Disney Treasure, the newest ship in the Disney Cruise Line fleet expansion, will set sail in December 2024, embarking on its inaugural season of seven-night itineraries to the Eastern and Western Caribbean from Port Canaveral, Florida. Adventure will serve as the architectural and thematic foundation of the ship, in honor of Walt Disney’s legendary passion for travel and exploration. (Disney)
Disney Treasure. ©Disney

Disney Cruise Line: Die Disney-Reederei startete 2022 mit der Disney Wish, dem fünften Schiff der Flotte, eine neue Bauserie. Diese wird 2024 mit der Disney Treasure fortgesetzt, 2025 soll noch eine weitere Einheit folgen. Und mit der Übernahme und Fertigstellung der Global Dream (ex-Genting) will Disney mit der umbenannten Disney Adventure ab 2025 den asiatischen Markt aufmischen.

Sunstone: Die Serie der Infinity-Expeditionsschiffe, welche die amerikanische Sunstone in China bauen lässt und dann verchartert, ist in diesem Jahr mit der Ocean Albatros (für Albatros Expeditions) auf sechs Einheiten angewachsen. Für 2025 wurde nun noch ein siebtes Schiff dieser Bauklasse bestätigt.

Mystic Cruises: Mit der World Explorer lancierte die portugiesische Reederei 2019 eine Bauserie von Expeditionsschiffen, gefolgt von der World Voyager, Navigator und Traveller (in den USA vermarktet über den Mystic-Anbieter Atlas Ocean Voyages). Drei weitere Einheiten, die World Seeker, Adventurer und Discoverer sind voraussichtlich für 2024/25 vorgesehen.

Mitsui O.S.K. Lines: Die japanische Reederei der NYK-Gruppe bestellte als Ersatz für die Nippon Maru während Corona einen Neubau, der 2025 zur Auslieferung kommen soll. Möglicherweise folgt noch ein Schwesterschiff.

Von besonderem Interesse ist, dass bereits vor, während oder seit der Pandemie zudem neue Cruise-Anbieter in den Markt eintraten und Schiffe bestellten, die in den nächsten Jahren zur Auslieferung kommen. Dabei handelt es sich fast ausschliesslich um kleinere Einheiten im Luxus-Segment in Kooperation mit bekannten Hotelketten:

Ritz-Carlton Yacht Collection. ©Ritz-Carlton

Ritz-Carlton Yacht Collection: Mit der Evrima (298 Pax) stieg die Hotelkette Ritz-Carlton 2022 ins Cruise-Business ein. Die neue Reederei wechselte danach die Bauwerft und wird 2024 mit der Ilma und 2025 mit der Luminara (je 448 Pax) zwei weitere, grössere Superyachten in Betrieb nehmen.

Four Seasons: Die kanadische Hotelkette gab 2022 den Einstieg ins Cruise-Business bekannt und bestellte eine erste luxuriöse Megajacht (180 Pax), die 2025 ausgeliefert werden soll. Inzwischen wurde eine zweite Einheit für 2026 bestellt.

Orient Express: Die Marke der Accor-Gruppe gab 2023 bekannt, dass man mit der luxuriösen und hochmodernen Segelyacht Silenseas (108 Pax) 2026 aufs Wasser expandiert. 2027 soll ein Schwesterschiff folgen.

Aroya Cruises: Das Projekt Sama, ein Joint-Venture von Aman Resorts und Cruise Saudi, das auch die World Dream (ex-Genting) übernommen hat und umbauen lässt, hat eine Luxus-Megayacht für rund 100 Gäste bestellt und will diese 2026 in Betrieb nehmen.

Ergänzend noch der Hinweis auf spezielle Schiffe: 2025 sollen auch zwei neue Resident-Schiffe den Betrieb aufnehmen, die Njord von Ocean Residences und die Narrative von Storyline. Und möglicherweise nimmt in diesem Jahr dann auch das erste klimaneutrale Schiff der norwegischen Northern Xplorer ihren Dienst auf.

Man kann davon ausgehen, dass auch die grossen und etablierten Reedereien früher oder später wieder in neue Schiffe investieren werden. Denn die globale Nachfrage dürfte aller Voraussicht nach weiterwachsen und ältere Schiffe müssen aus ökonomischen und ökologischen Gründen ersetzt werden.

Ein erstes Zeichen setzte diesen Sommer Crystal Cruises. Die einstige Genting-Marke wurde 2022 von der A&K Travel Group übernommen und ist inzwischen erneut mit den zwei modernisierten Schiffen Crystal Serenity und Symphony im Markt. Kürzlich hat die Reederei die Absicht geäussert, zwei Hochsee- und zwei Expeditionsschiffe bauen zu lassen – Details stehen aber noch aus.

Beat Eichenberger