Eine Schiffsreise der besonderen Art

Hurtigruten feiert in diesem Jahr ihr 130-Jahre-Jubiläum. Was unterscheidet die klassische Postschiffroute entlang der norwegischen Küste von anderen Seereisen? TRAVEL INSIDE war an Bord.  
Mit lautem Getute begrüssen sich die Hurtigruten-Schiffe unterwegs.  ©BE

Pünktlich wie die SBB legt die MS Polarlys am Abend um 20.30 Uhr vom Pier in Bergen ab. Die Gäste verabschieden sich an Deck von einer der schönsten Städte Norwegens mit ihrem bunten Bryggen-Quartier und dem Hausberg Floyen. Mehr als 200 Regentage im Jahr soll es hier geben – doch heute strahlt die Sonne.  

Etliche, vor allem internationale Gäste, buchten für ihre Anreise von Oslo nach Bergen die rund 7-stündige Fahrt mit der Bergen-Bahn – ein herrlicher Auftakt durch beeindruckende Landschaften bis zu den Gletschern bei Finse auf 1222 Meter Höhe.  

Gemütliches Heim auf See  
Die Polarlys in Bodo.   ©BE

Die Polarlys gehört mit der Kong Harald, Richard Whit, Nordlys, Nordkapp, Nordnorge und Trollfjord zu einer Serie von sieben ähnlichen, zwischen 1993 und 2002 in Betrieb genommenen und inzwischen hübsch renovierten Kombi-Schiffen. Zur Küstenflotte von Hurtigruten gehört zudem die ältere und kleinere Vesteralen.  

Mit 11’200 BRZ vermessen, verfügt die Polarlys über 207 Kabinen und sechs Suiten und kann maximal (mit Kurzreisenden ohne Kabine) 533 Passagiere aufnehmen. Die Grösse der Innen-Kabinen wie der Aussen-Kabinen (mit Fenster) bewegt sich zwischen acht und 13 qm und die Suiten zwischen 17 und 30 qm.  

Es ist also in den meisten Kabinen recht eng, doch sie sind ansprechend und mit allem nötigen ausgestattet: Nasszelle mit Dusche und Bodenheizung, Doppelbett mit individuellen Leselampen, kleiner Schreibtisch, Schrank und Schubladen, TV, Telefon und Wasserkocher. Der Haarföhn kann an der Rezeption bezogen werden.  

Eine traditionsreiche Route  
Hotel-Manager Marco Voigtländer ©BE

1893 befuhr Kapitän Richard With erstmals die Hurtig Ruten («Schnelle Route») zwischen Trondheim und Hammerfest, die später bis nach Bergen im Süden und Kirkenes im Norden erweitert wurde. Dies auf Initiative der norwegischen Regierung, die eine ganzjährige Versorgung der Küstenorte anstrebte.  

«Noch heute gilt ein Staatsvertrag. Er verlangt tägliche Abfahrten gemäss einem fixen, ganzjährigen Fahrplan nach 34 Häfen zwischen Bergen und Kirkenes und den Transport von Waren, Post, Autos und Passagieren», erklärt Marco Voigtländer, Hotel-Manager der Polarlys während der ersten Reisetage. 450 Palette finden im Schiffsbauch Platz, dazu rund 30 Personenwagen.  

«Die meisten Passagiere sind Touristen, welche die 12-tägige Rundtour Bergen-Kirkenes-Bergen oder Teilstrecken davon geniessen», so Voigtländer. «Der Gäste-Mix ist sehr international, darunter stets viele deutschsprachige Reisende». Vor allem ein gesetzteres Publikum, aber auch Weltenbummler und Familien sind an Bord.  

Die Hurtigruten-Schiffe erfüllen aber ebenso und unverändert die Funktion eines öffentlichen Verkehrsmittels für die Einheimischen, die an Bord kürzere Strecken zurücklegen und sich für maximal eine Nacht in den Lounges aufhalten können.  

Vor wenigen Jahren beschloss die norwegische Regierung, auf der Postschiffroute mehr Wettbewerb zuzulassen. Inzwischen nimmt auch die norwegische Havila Kystrupen mit vier Schiffen diesen Service wahr, während Hurtigruten nun mit sieben Schiffen den Grossteil des 11-tägigen Rundtour-Rhythmus sichert.  

Erste Höhepunkte unterwegs  
Im Geirangerfjord

Die erste Nacht an Bord verläuft geruhsam, das berüchtigte Vestkapp, bekannt für seine oft stürmische See, zeigt sich von der gnädigen Seite. Nach einem kurzen morgendlichen Stopp in Alesund sticht die Polarlys in Richtung Geirangerfjord in See.  

Dieser achtstündige «Sightseeing»-Abstecher ist eines der ganz wenigen Zugeständnisse, das Hurtigruten gegenüber den touristischen Gästen einräumt. Das Dörfchen am Ende des berühmten malerischen Fjords ist keine offizielle Anlaufstelle und das Schiff tendert einzig Ausflügler an Land, die in Molde wieder zusteigen.  

Gegen Abend erlaubt ein gut einstündiger Halt zurück in Alesund eine kurze Entdeckung dieses Städtchens, das 1904 dem Feuer zum Opfer fiel und danach im Jugendstil wieder aufgebaut wurde – ein ganz spezielles Altstadtbild.  

Bis zu acht Anläufe täglich schafft die Polarlys zu jeder Tages- und Nachtzeit, die meisten dauern nur zehn oder zwanzig Minuten. Palette werden zügig ausgeladen, ein, zwei Autos verstaut und einige Passagiere steigen zu oder verlassen das Schiff. Zeit für einen Stadtbummel gibt es in der Regel nur einmal am Tag.  

So zum Beispiel tags darauf in Trondheim. Inzwischen giesst es wie aus Kübeln und ein giftiger Wind bläst – doch damit muss man an der Küste immer rechnen. Die Sehenswürdigkeit der Stadt, der prächtige Nidaros-Dom, oder ein kurzer Abstecher in das malerische Baklandet-Quartier, lässt sich gleichwohl geniessen.  

Ein komplettes Bordangebot  
Herrliche Explorer Lounge

Das Leben an Bord des Passagierschiffs, das auch ein Frachtschiff und eine Fähre ist, hat sich eingependelt und spielt sich vor allem auf Deck 4 und 7 ab – auf Deck 3, 5 und 6 befinden sich die Kabinen. Die recht kleine Polarlys ist, wie alle Hurtigruten-Schiffe, überblickbar und verströmt einen gemütlichen Hauch von Nostalgie.  

Auf Deck 4 hinten liegt das hübsche Restaurant Torget, nebenan das Fine-Dining-Restaurant Kysten und das Snack-Restaurant Brygga – zur Küche an Bord gleich mehr. Auf demselben Deck befindet sich auch das Kompass-Service-Center mit Rezeption, Shop und Ausflugsbüro sowie den Vortragsräumen.  

Auf Deck 7 bietet die mit bequemen Sitzen und hohen Fenstern ausgestattete Explorer Lounge & Bar einen prächtigen Blick voraus. Die Multe Bakery ist ein netter Familien-Treffpunkt, gar ein kleiner Fitness-Raum ist vorhanden. Hinten liegt das grosse, offene Observation Deck mit Stühlen und windgeschützten Bereichen.  

Hier oder in den zwei Hottubs hinten auf Deck 6 oder auf dem Aussenrundgang auf Deck 5 geniessen die Passagiere an frischer Luft die Szenerie, welche die Schiffsreise entlang der 2400 Seemeilen langen Fjordküste Norwegens so einmalig macht: Fast immer ist Land in Sicht, das Schiff schlängelt sich kaum nachvollziehbar zwischen Inseln, Bergzügen, Klippen und grünen Küstenstreifen von Ort zu Ort.  

Der Nachhaltigkeit verpflichtet  
Kapitän Ulf Arne Berg

«Diese Route wird nun seit bereits 130 Jahren befahren – niemand kennt sie so gut wie wir», sagt Kapitän Ulf Arne Berg lachend bei einem Gespräch auf der Brücke. Der in Hammerfest geborene Norweger ist bereits seit 35 Jahren für Hurtigruten tätig und weiss, wovon er spricht.  

Natürlich könne es auch mal anspruchsvoll werden: «Es gibt einzelne Strecken, die nicht zwischen schützenden Inseln und dem Festland verlaufen und wo es auch mal stürmisch werden kann». Dank der immensen Erfahrung sind für die Hurtigruten-Schiffe – im Gegensatz zu Kreuzfahrtschiffen – keine Lotsen vorgeschrieben.  

Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass die Postschiffe keine explizite Eis-Verstärkung benötigen. Die Küste, auch im hohen Norden, wird vom Golfstrom umspült und ist ganzjährig eisfrei. «Und sollte es mal in Kirkenes oben kritisch werden, spuren Eisbrecher die Fahrrinne vor», sagt der Kapitän.  

Die Hurtigruten-Schiffe fahren schon seit zehn Jahren mit schwefelreduziertem Marine Gas Oil, verfügen über SCR-Katalysatoren und emissionsarme Motoren. Zwei Einheiten, die Richard Whit und Kong Harald, sind inzwischen bereits hybrid mit grossen Batteriespeichern unterwegs.  

Hurtigruten liegt gemäss der neusten NABU-Studie mit Havila an der Spitze der umweltfreundlichsten Reedereien. Alle Schiffe verfügen über Landstromanschluss und nutzen auch Biokraftstoffe, zudem wurde schon vor Jahren Plastik von den Schiffen verbannt. Und mit dem Projekt «Sea Zero» will Hurtigruten bis 2030 gar ein komplett emissionsfreies Schiff in Betrieb nehmen.  

Ein riesiges Ausflugsangebot  
Idyllische Lofoten

Auf ihrem Weg weiter nordwärts überquert die Polarlys bei erneut strahlendem Wetter den arktischen Polarkreis, die Tage werden immer länger. An einer launigen Feier an Deck, zu der sich gar König Neptun zum Kapitän gesellt, ergeben sich mutige Gäste unter viel Gelächter der Eiswasser-Polarkreistaufe.  

Ein weiterer Stadtbummel ist im nordnorwegischen Verkehrsknotenpunkt Bodo möglich, dann zieht das Schiff über den offenen Vestfjord Richtung Lofoten. Steil und bizarr tauchen Gipfel aus dem Meer auf, am Ufer kleben malerische Fischerdörfchen – ein Höhepunkt dieser Reise.  

Ab Stamsund führt ein Ausflug über die Inselwelt: Durch grüne, landwirtschaftliche Täler und entlang kargen, verwirrenden Küstenlinien führt die Fahrt bis zum Hauptort Svolvaer, wo wir wieder aufs Schiff zusteigen. Unterwegs bietet das Lofoten-Freilichtmuseum Einblicke ins spannende historische Fischerleben.  

Tatsächlich ist das Angebot an Ausflügen und Aktivitäten von Hurtigruten riesig. Über 90 Optionen stehen zur Wahl: Touren, Besichtigungen, Treffen mit Einheimischen, Wanderungen, Kajak- und Radausflüge – die Palette ist äusserst vielseitig.  

«Gerade spezielle Angebote wie ein Wikinger-Abend oder ein Farm-Besuch kommen bei den Gästen immer gut an», sagt David Lam, Leiter des dreiköpfigen Expeditions-Teams an Bord. Das Team koordiniert nicht nur die Ausflüge, sondern begleitet auch Wanderungen und informiert in täglichen Vorträgen (deutsch und englisch) über das Tagesgeschehen und spezielle Themen.  

Köstliche lokale Küche  
Delikatesse Königskrabben

Ein «Unterhaltungsprogramm» gibt es nebst Vorträgen nicht bei Hurtigruten – die Seereise, Anläufe und Ausflüge stehen im Vordergrund. Nicht zu vergessen die Mahlzeiten: Für die Vollpensions-Gäste wird morgens und mittags im Torget ein grosses Buffet aufgetischt und abends ein Drei-Gang-Menu serviert.  

«2015 hat Hurtigruten das Konzept «Norway’s Coastal Kitchen» eingeführt, das sich auf eine regionale, saisonale und tagesfrische Küche abstützt», sagt Hotel-Manager Per Oyvind Dahl, der inzwischen Marco Voigtländer abgelöst hat. Rund 80 Prozent der Produkte stammen unterwegs von lokalen norwegischen Lieferanten und werden von der Küchen-Brigade köstlich zubereitet.  

Im zahlungspflichtigen, weiss aufgedeckten Fine-Dining-Restaurant Kysten wird die norwegische Küche gar auf Gourmet-Level zelebriert. Kulinarischer Höhepunkt jeder Reise ist stets der Abend, wenn frische Königskrabben zu haben sind – ein wahrer, dem Hummer ähnlicher Leckerbissen!  

«Die Königskrabben stammen ursprünglich aus dem nördlichen Pazifik und wurden in den 1960er-Jahren in die Barentssee eingeführt – inzwischen haben sie sich an der ganzen norwegischen Nordküste verbreitet», erzählt Dahl. Für die Delikatesse wird in den USA und in Asien offenbar ein halbes Vermögen bezahlt.  

Vor allem Kurzreisende können im Brygge-Bistro Burger, Pizzas und Sandwiches erstehen, während in der Multe Bakery Köstlichkeiten zum Kaffee und Ice Cream angeboten werden. Das WLAN an Bord ist übrigens recht leistungsfähig.  

Knapp 50 Angestellte umfasst das norwegische und skandinavische Hotel-Team an Bord. Es kümmert sich um die Küche, das Restaurant, die Kabinen, die Rezeption und die Ausflüge. Diese knappe, aber stets freundliche Belegung bei über 400 Passagieren kann dazu führen, dass sich vor dem Target-Restaurant auch mal Schlangen bilden oder dass die Kabine erst am Nachmittag aufbereitet wird.  

Letzte Höhepunkte im Norden 
Höhepunkt Nordkap

Nach der Ausfahrt aus Svolvaer erlaubt sich die Polarlys gegen Mitternacht einen Abstecher in den Trolljord. Der rund zwei Kilometer lange Fjord ist nur hundert Meter breit, bedrohlich ragen in der mitternächtlichen Dämmerung beidseitig nackte, steile Felswände in die Höhe.  

In Tromso, der grössten Stadt Nordnorwegens, ist der nächste Landgang möglich. Die idyllische, von Bergketten gesäumte Lage auf einer Insel im Fjord-Geäste entfaltet sich in seiner ganzen Pracht vom Hausberg Storsteinen, auf den eine Gondelbahn führt. Aber auch die Eismeerkathedrale oder die alten Holzhäuser am Hafen lohnen den mehrstündigen Besuch.  

Das Landschaftsbild hat sich nun verändert: Nur noch selten gibt es an der Küste kleine Orte zu entdecken, die Hügel sind karg und felsig und auf den Bergen glitzern noch Schneereste oder gar Gletscher. Die Polarlys nähert sich dem nördlichsten Punkt ihrer Reise und macht in Honningsvag auf der Insel Mageroy Halt.  

Der Ausflug zum Nordkap ist für die meisten touristischen Gäste ein «must» und ein weiteres Reise-Highlight. Bereits die Fahrt über die baumlose, karg-grüne Insel mit gelegentlich grasenden Rentieren ist ein Erlebnis, das prächtige Wetter hält nun schon seit vier Tagen an – «das ist hier keineswegs üblich», so die Einheimischen  

Zwischen dem markanten Nordkapfelsen und dem Nordpol liegen 2110 Kilometer – ein erhabener Blick übers endlose Wasser. Interessante Informationen rund um das Nordkap und das von langen Wintern geprägte Leben auf der entlegenen Insel bietet das grosszügige Besucherzentrum.  

Der letzte Abschnitt unserer Reise führt entlang der einsamen Küste der Finnmark und dem Land der Sami bis nach Kirkenes, wo das Schiff kehrtmachen wird. Ab und zu ein Halt in einem abgelegenen Fischerdörfchen und jeden Abend bis spät ein von der tiefstehend verharrenden Sonne entflammter Himmel – diese Schiffsreise ist wahrlich ein besonderes Erlebnis.  

Beat Eichenberger, Bergen-Kirkenes