Gastkommentar: «Perle im Mittelmeer – Sauftouristen hin oder her»

Der TRAVEL INSIDE Autor und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Mittelmeerperle, Partyinsel, Wander- und Radfahrermekka, Palmenhausen, Strandtraum, Klein-Deutschland, Rentnerparadies, etc., die ‘Spitznamen’ der Insel Mallorca sind so vielfältig und unterschiedlich wie die Insel selbst.  

Als ich vor 21 Jahren das erste Mal, das auch abschätzig ‘Putzfraueninsel’ genannte Eiland betrat, tat ich dies mit vielen Vorurteilen und mit geringer Erwartungshaltung. Nach einer 1-wöchigen Rundreise mit einem Mietwagen flog ich begeistert und mit durchwegs positiven Eindrücken nach Hause.  

Ich war seither noch sechs Mal auf ‘Malle’, immer an einem anderen Ort, in Ferienhäusern oder Hotels, aber stets mit Mietwagen. Ein oder zwei Wochen Ferien in einem Strandhotel könnte ich mir durchaus auch vorstellen. Die Balearen-Insel hat für alle etwas zu bieten Strandferien, Bergwanderungen (im Winter u.U. auch im Schnee), Velotouren, Fincas, Wellness, Wassersport, Golf, Architektur, Shopping-Outlets, und so weiter und so fort.  

Ich habe aber meine Augen nie vor den Schattenseiten der Insel verschlossen; eine davon ist der Sauftourismus. Ein Thema, das schon seit Jahren herumgereicht wird und nur während den Covid-Jahren 2020 und 2021 etwas in den Hintergrund getreten ist. Covid ist nun aber Geschichte und das Gespenst der mit Sangria und Bier zugedröhnten Saufgruppen ist, vor allem in El Arenal (Playa Palma), welches fest in Deutscher Hand ist und in Magaluf, wo die sonnenverbrannten Engländer bereits am Morgen den Alkoholpegel auffrischen lassen. Auch Schweizer und Skandinavier mischen an beiden Orten kräftig mit.  

Das Jammern der Hoteliers der beiden Epizentren des Alkoholkonsums liess nicht lange auf sich warten und die Forderungen nach Massnahmen, die bereits vor Covid herumgereicht wurden, sind wieder aufgetaucht. In den Jahren vor Covid wurde gar mancher Versuch gestartet, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Eine neue Tourismussteuer wurde aus dem Hut gezogen, die aber auch die ‘braven’ Gäste zu bezahlen hatten. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt und die Policia mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Eine 2016 von lokalen Unternehmern gegründete Initiative mit dem Namen ‘Palma Beach’ versucht seit einigen Jahren, das Image (das eigentlich gar nicht so schlecht ist) der Ferieninsel aufzupolieren.  

Während Covid war tatsächlich ein Trend in Richtung ‘anspruchsvollen’ Tourismus festzustellen. Der bis zu 80-prozentige Einbruch im Tourismus trieb aber wiederum diverse Hotels, Restaurants und Geschäfte in den Ruin, trotz Unterstützung durch den Staat. Sobald alle Covid Massnahmen aufgehoben wurden und die Sauftempel an der Playa Palma und Magaluf wieder öffneten, kamen auch die ungeliebten ‘Gäste’ wieder auf die Insel.  

Nun stellen sich alle die Frage, wie man die Geister, die man gerufen hat, wieder loswerden kann – ein schier unlösbares Problem. Ich habe dafür auch kein Rezept. Einzig eine Radikalkur mit rigorosen Verboten, gnadenlosen Durchgreifen der Polizei, Schliessung alle Discos, Restaurants und Bars, Verkaufsverbot von Alkohol in Supermärkten nach 20 Uhr, etc., könnte etwas Erleichterung bringen. Aber ob das eine praktikable Lösung ist, sei dahingestellt.  

Ein solcher Rundumschlag kann dem Image der Insel mehr Schaden zufügen als der Sauftourismus. Ob der Sauftourismus der Insel überhaupt schadet, ist fraglich. Betrachtet man das Ganze aus einer etwas anderen Perspektive und stellt ein paar ketzerische Fragen, könnte man auch zu folgender Erkenntnis kommen: Die Party Crowd konzentriert sich auf der Insel bekanntlich auf die bereits erwähnten Orte El Arenal und Magaluf, und in einer etwas abgeschwächten Form und in der Hochsaison auch auf Alcudia. Das hat den ‘Vorteil’, dass 90% der Insel davon verschont bleibt.  

Die meisten Touristen kommen gar nicht in Kontakt mit den Saufbrüdern und -schwestern, höchstens kurz am Flughafen bei Ankunft und Abflug. Ich habe das zumindest immer so empfunden. Die schlimmsten Auswüchse sind zudem in der Hochsaison zu beobachten. Von November bis Februar herrscht auch an der Playa Palma Ruhe und man kann völlig ungestört (mit Ausnahme der lästigen Strassenverkäufer) flanieren. 

Ist das Problem tatsächlich so gravierend, oder stört es vor allem einige Hoteliers, die gerne eine etwas betuchtere Klientel in ihren Häusern begrüssen würden? So ganz nebenbei sei erwähnt, dass sich auch 5-Sterne Gäste ab und zu mal dazu verleiten lassen ‘die Sau rauszulassen’. Nur kommt dann meist auch noch eine Prise Dekadenz hinzu und der Alkohol fliesst aus Champagnerflaschen und nicht aus Putzkübeln. Das Endresultat ist aber ähnlich. Aber da drücken die meisten Hotelmanager dann gerne ein Auge zu, solange der Rubel rollt – zumindest war dies der Fall vor Februar 2022.  

Ich würde den Hoteliers, die jetzt am lautesten schreien, empfehlen, sich mal das Treiben zum Beispiel in Benidorm, Lloret de Mar, Aya Napa und ganz besonders das Sodom und Gomorrah mit dem Namen Paceville auf Malta anzusehen. Schlussendlich gibt es ausser den bereits erwähnten Massnahmen keine Alternative, ohne dass irgendjemand dabei auf der Strecke bleibt. Das ewige Gejammer schadet der Insel glaube ich mehr als der Sauftourismus. Die meisten Touristen wissen ganz genau welche No-go-Gebiete zu meiden sind und fühlen sich durch die Partygänger nicht gestört.  

Mallorca wird jedenfalls eine Massendestination bleiben. Mit Flugzeiten von 1 ½ bis 3 Stunden und einem milden Klima ist die Insel für Nordeuropäer verlockend nahe und die Preise sind (mit Ausnahme des letzten Jahres) auch moderat. Warum also an etwas rütteln, das sich über Jahre hinweg bewährt hat.  

Mallorca bietet für alle etwas und solange die Sauftouristen konzentriert an zwei Orten ihr Unwesen treiben, warum etwas ändern? Wer in Zürich gesittet in den ‘Ausgang’ will, weiss ich ja auch, dass die Langstrasse vielleicht nicht der richtige Ort ist, gemütlich ein Cüpli zu trinken und zu flanieren. Na ja, das ist meine ganze persönliche Meinung und ich bin sicher, dass auch hier, wie bei jedem Thema, unterschiedliche Sichtweisen vorhanden sind. Ich werde jedenfalls die Perle im Mittelmeer schon bald wieder besuchen, Sauftouristen hin oder her.