Nun hat also wieder einmal Rom durchgegriffen: Wie bereits gemeldet, verbietet ein Dekret der Regierung Mario Draghi per 1. August 2021 Kreuzfahrtschiffen mit mehr als 25’000 BRZ die Durchfahrt durch Venedig. Dies betrifft die Strecke durch den Canale di San Marco, das Bacino di San Marco und den Canale della Giudecca zur Stazione Marittima in der Nähe des Bahnhofs im Norden des historischen Zentrums. Eine einmalige Panoramafahrt entlang des Markusplatz und des Dogenpalasts – bisher ein absoluter Höhepunkt jeder Kreuzfahrt aus und nach Venedig, zugleich einer der wichtigsten Cruise-Häfen für den Markt Schweiz.
Doch die negativen Kehrseiten dieses sehr wohl eindrucksvollen Erlebnisses für Cruise-Passagiere waren schon lange bekannt: Grosse Schiffe, auch wenn sie sich noch so langsam bewegen, schädigen mit ihren Vibrationen und verdrängten Wassermassen die Fundamente der Stadt, die weitgehend auf Pfählen steht. Auch die Luftverschmutzung war lange ein gewichtiges Thema. Schon mehrmals drohte deshalb die Unesco, der Stadt den Status eines Weltkulturerbes zu entziehen, und die Bewegung «No Grandi Navi» setzte die Politik immer mehr unter Druck.
Costa weicht auf Triest aus
Ganz so überraschend kommt das aktuelle Verbot aus Rom deshalb nicht. Bereits am 1. April dieses Jahres hat die Regierung ein Verbot für Kreuzfahrtschiffe über 40’000 BRZ in Venedig angekündigt, allerdings ohne weitere Details bekannt zu geben. Ob nun das Datum 1. August mit einer nach unten angepasster BRZ-Limite tatsächlich das endgültige Venedig-Aus für grössere Kreuzfahrtschiffe bedeutet, wird sich auf Grund der bisherigen Erfahrungen erst noch weisen müssen.
Die Reedereien reagierten jedenfalls schon in den letzten Jahren auf die kritische Lage in Venedig und setzten keine Megaliner mehr ab der Lagunenstadt ein, gleichzeitig gewann Triest immer mehr an Bedeutung als Abfahrtshafen. Derzeit sind vor allem die beiden Reedereien MSC Cruises und Costa Cruises mit grösseren Einheiten im Restart-Modus ab Venedig aktiv: Abfahrten programmiert haben die MSC Magnifica (95’130 BRZ,2518 Pax), die MSC Orchestra (92’400 BRZ, 2550 Pax) und die Costa Deliziosa (92’700 BRZ, 2260 Pax), alle unter der 100’000-BRZ-Limite.
Costa hat inzwischen entschieden, dass alle Kreuzfahrten der Costa Delizosa vom 24. Juli bis 30. Dezember 2021 statt ab Venedig neu ab Triest zur Durchführung kommen. Noch keine Antworten die Fragen von TRAVEL INSIDE, wie die Reederei mit der neuen Situation ab 1.8. umgehen will und wie es mit den ab Venedig ausgeschriebenen Fahrten weitergeht, konnte MSC Cruises bisher liefern.
Wie aber das Portal «An Bord» meldete, hat MSC offenbar bereits die Abfertigung ihrer beiden Schiffe nach Monfalcone in der Nähe von Triest verlagert, rund 100 Kilometer von Venedig entfernt. Dabei erfolgte das Check-in der Passagiere noch im Terminal Venedig und die Gäste wurden per Bus nach Monfalcone gebracht. Da und dort wird übrigens auch Ravenna als mögliche Alternative ins Spiel gebracht.
Ein jahrelanger Streit
Tatsächlich wogt der Streit um die Kreuzfahrtschiffe in Venedig schon seit Jahren. Nebst den ökologischen Risiken für die Lagune, den Schäden an den historischen Gebäuden und den Emissionen rückte in letzter Zeit auch der wachsende Overtourismus in den Fokus.
Zwar machen die jährlich rund 1,5 Millionen Cruise-Gäste am Total der Venedig-Besucher (ca. 30 Millionen) nur fünf Prozent aus, moniert wird aber, dass diese kaum Geld für Restaurants, Shops oder Übernachtungen ausgeben und einzig die Infrastruktur belasten. Auf der anderen Seite stehen ökonomische Aspekte vieler Arbeitsplätze am Hafen, bei Dienstleistern und Zulieferern im Raum.
Über die Jahre wurde diskutiert, gestritten und geplant. Erlässe wurden angeordnet, widerrufen oder sie versandeten schlichtweg. So gab es schon 2014 eine Anordnung der italienischen Regierung, grosse Schiffe aus Venedig zu verbannen. Ein Gericht hob dieses Dekret damals wieder auf, weil es keine Alternativen aufzeige.
Dann sah eine im November 2017 beschlossene Verfügung vor, innert drei bis vier Jahren die Durchfahrt für Kreuzfahrtschiffe über 55’000 BRZ zu verbieten. Stattdessen sollen die Schiffe über den in der Lagune von Frachtern genutzte Canale dei Petroli Venedig umfahren und einen neuen Kreuzfahrt-Terminal in Marghera ansteuern.
Der Industriehafen von Marghera auf der Festland-Seite von Venedig wird nun erneut als «Übergangslösung» ins Licht gerückt. Ein neuer Kreuzfahrt-Terminal steht zwar nirgends, mit 157 Millionen Euro soll aber eine provisorische Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe gebaut werden. Provisorisch, weil mittels eines Ideenwettbewerbs eine permanente Lösung für Kreuzfahrten ab Venedig gesucht werden soll, die auch die sensible Lagune entlastet – was aber erneut Jahre dauern dürfte.
Eine konkrete Idee wurde schon 2016 mit dem Projekt «Venis Cruise 2.0» entwickelt. Dieses sah eine neue Anlegestelle direkt bei der Einfahrt zur Lagune vor, wo an einem langen Steg gleichzeitig bis fünf Kreuzfahrtschiffe abgefertigt werden könnten und wohin die Passagiere vom Flughafen oder der Stazione Marittima (resp. Bahnhof) mit einer Armada von kleinen Elektro-Transferschiffen gebracht würden. Von diesem Projekt hörte man seither nichts mehr – ob es jetzt eine zweite Chance erhält, wird man sehen.
Chance für Boutique-Schiffe
Sollte das Cruise-Verbot für grössere Kreuzfahrtschiffe durch den Canale della Giudecca tatsächlich unabänderliche Realität werden, sind künftig fast alle grossen Reedereien davon betroffen. Auf der anderen Seite wird die Panoramafahrt vor der einmaligen Kulisse Venedigs plötzlich ein Privileg und USP für kleinere Schiffe unter 25’000 BRZ. Dies wäre mehr oder weniger für die gesamte Flotte der weltweiten Expeditionsschiffe der Fall, die aber mehrheitlich saisonal in den Polargebieten kreuzen und eher selten (etwa auf Repositioning) das Mittelmeer besuchen.
Gewinner könnten deshalb die Segel-Kreuzfahrtschiffe sein, die zudem mit ihrem authentischen Look das Bild Venedigs nicht beinträchtigen – im Gegenteil. Das gilt etwa für die Schiffe von Star Clippers, Sea Cloud Cruises oder Windstar Cruises. Auch die drei Megajachten von Windstar, die zwei Seadream-Einheiten oder der kleine Klassiker Hamburg von Plantours könnten künftig weiterhin die Durchfahrt Venedigs als exklusives Highlight in ihre Programme einbauen.
(Beat Eichenberger)