Eric Jakob: «Reisebranche ist für das Seco von grosser Wichtigkeit»

Der Leiter Standortförderung des Seco, Dr. Eric Jakob, stellt sich nach der Protestwelle der Reisebranche den Fragen von TRAVEL INSIDE.
Dr. Eric Jakob, Leiter Standortförderung Seco

Herr Botschafter Jakob, Ihre kürzlichen Äusserungen haben zu einer Protestwelle in der Reisebranche geführt. Wie kommen Sie darauf, den Schweizern zum Verzicht von Auslandsreisen in diesem Sommer zu raten?

Meine Äusserungen im Rahmen des Point de Presse zum Coronavirus vom 27. April waren keineswegs als offizielle Empfehlung gedacht, sämtliche Ferienreisen ins Ausland aufs Jahr 2021 zu verschieben, wie dies teilweise verstanden wurde. Erstens habe ich auf die Journalistenfrage hin von einer «persönlichen Empfehlung» gesprochen und zweitens diese im Kontext des Tourismusgipfels vom letzten Sonntag, bei dem es um die kommenden Sommerferien ging, auf die Sommerferienzeit 2020 bezogen.

Ich habe im Verlauf der Medienkonferenz mehrfach betont, dass definitive Aussagen zur Wiederaufnahme des internationalen Tourismus enorm schwierig seien, da so viele verschiedene Faktoren – Grenzöffnungen der Staaten, sanitarische Massnahmen, Entwicklung der Fallzahlen, Gefahr einer zweiten Welle, Vorhandensein von individueller Reiselust – mitspielen. Ich habe ferner auf die Analysen der internationalen Organisationen OECD und UNWTO hingewiesen, die eine substantielle Wiederaufnahme der internationalen Reisetätigkeit erst für 2021 vorsehen.

Welche Aufgabe hat die Wirtschaftsförderung im Seco in Bezug auf den Outgoing-Tourismus?

Mit seiner Tourismuspolitik – die Teil der Wirtschaftspolitik ist – verfolgt der Bund das Ziel eines wettbewerbsfähigen und erfolgreichen Tourismusstandortes Schweiz. Von besonderer Bedeutung sind dabei tourismusfreundliche Rahmenbedingungen. Hier setzt sich das Seco insbesondere für die administrative Entlastung der touristischen Unternehmen, aber auch für die Vernetzung der Akteure in dieser Querschnittbranche ein. Dies gilt auch für die Outgoing-Unternehmen.

Gilt dies auch auf den internationalen Tourismus der Reisebranche, ist die Standortförderung auch hier zuständig?

Die Standortförderung des Bundes verfügt über vier spezifische Förderinstrumente: die Marketing-Organisation Schweiz Tourismus, das Förderprogramm Innotour, die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit SGH sowie die Neue Regionalpolitik NRP, deren Förderung auch einen ausgeprägten Tourismusfokus hat. Diese Förderinstrumente sind auf den Incoming-Tourismus ausgerichtet.

Welchen Stellenwert nimmt die Reisebranche – die ja die Schweizer ins Ausland schickt – innerhalb des Seco ein?

Die Reisebranche ist auf Bundesebene über das Pauschalreisegesetz reguliert, für das das Bundesamt für Justiz zuständig ist. Wir pflegen mit dem Bundesamt für Justiz eine gute Zusammenarbeit und bringen da insbesondere unsere wirtschaftspolitischen Anliegen in die Diskussion ein. Die Reisebranche ist für das Seco wie alle anderen Tourismusbereiche von grosser Wichtigkeit.

Der Bund unterstützt den Schweizer Tourismus mit zusätzlichen Mitteln, gibt es auch Hilfe für die Reisebranche?

Die Direktion für Standortförderung im Seco kümmert sich seit Wochen intensiv um Lösungen für die Reisebranche, welche die bisher beschlossenen allgemeinen wirtschaftspolitischen Massnahmen im Bereich Kurzarbeit, Liquiditätskredite und Stundungsmöglichkeiten ergänzt. Hier bleiben wir dran. Uns liegt der gesamte Tourismus mit allen Teilbereichen, inklusive Reisebranche, am Herzen.

Zweimal ist die Reisebranche beim Bund abgeblitzt, bei der Gutschein-Lösung und dem Rechtsstillstand. Ist sie dem Bund nicht wichtig genug?

Der Bundesrat hat am 16. April über mögliche Spezialregelungen (Betreibungsstillstand) für die Reisebüros gesprochen, die sich aufgrund der Bestimmungen des Pauschalreisegesetzes in einer besonders schwierigen Situation befinden. Dessen ist sich der Bundesrat sehr bewusst.

Bei seinen Überlegungen ist der Bundesrat zum Schluss gelangt, dass das geltende Instrumentarium – namentlich der erleichterte Zugang zur Kurzarbeitsentschädigung, ein einfacher und rascher Zugang zu Überbrückungskrediten sowie auch die vom Bundesrat beschlossene neue Covid-19-Stundung – zu nutzen ist und mittels Notrecht keine branchenspezifischen Lösungen für die Reisebüros zu treffen sind.

Die Gutschein-Lösung ist an der fehlenden Staatsgarantie für die Bons gescheitert. Warum wollte sie der Bund nicht?

Die Idee von uns war es, mit dem Betreibungsstillstand Zeit zu gewinnen, damit das Parlament eine Güterabwägung vornehmen und beurteilen kann, wie die wegen den Bestimmungen des Pauschalreisegesetzes bestehenden Verpflichtungen der Reisebüros zu erfüllen sind, mit oder ohne Anpassung des Pauschalreisegesetzes und mit oder ohne eine allfällige Unterstützung durch den Bund.

Den Betreibungsstillstand für die Reisebranche hat der Bundesrat abgelehnt, das Parlament soll sie nächste Woche an der Sondersession doch noch durchsetzen. Wann kann sie in Kraft treten? Und kann das der Branche bis dann überhaupt noch helfen?

Der Nationalrat wird in der Sondersession nächste Woche entscheiden. Gemäss Auskunft des Sekretariats der Rechtskommission ist im Fall einer Gutheissung im Moment noch offen, ob der Ständerat bereits in der Sondersession oder erst später das Geschäft traktandieren wird, das wird am Donnerstagabend entschieden und am Freitag mit dem Programm für die Sondersession kommuniziert. Sofern und sobald beide Räte der Motion zustimmen, könnte der Bundesrat den Rechtsstillstand relativ rasch, d.h. innerhalb weniger Tage, mit sofortiger Wirkung anordnen. Dies würde der Branche mit Sicherheit helfen. Und man würde Zeit zur Erarbeitung einer geeigneten nachhaltigen Lösung unter Einbezug der Reisebüros und der Konsumentenorganisationen gewinnen.

Der Schweizer Reise-Verband SRV hat die Idee einen Fonds über CHF 500 Mio. – dieser soll die Kreditoren-Risiken von Reisebüros und Reiseveranstaltern abdecken, die ja ihren Kunden ihr Geld zurückerstatten müssen. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag? Und wie sehen Sie die Chancen, dass der Fonds zu Stande kommt?

Der Entscheid des Bundesrates vom 16. April bezüglich Betreibungsstillstand bedeutet auch, dass der Bundesrat wenn immer möglich auf weitere notrechtlich abgestützte Schritte verzichten möchte. Es obliegt somit dem Parlament sich dieser Thematik anzunehmen und den Vorschlag zu beurteilen. Inwiefern so ein Fonds im Parlament eine Chance hätte, kann ich nicht beurteilen.

Eine Anpassung des Pauschalreisegesetzes ist dringend nötig. Gefordert ist eine Lockerung der Rückzahlungspflichten von Kundengeldern, damit das Risiko bei Reisen nicht mehr einseitig beim Reisebüro liegt. Wie und in welchem Zeitrahmen ist dies realistisch?

Ob hier tatsächlich Anpassungsbedarf besteht, dazu dürften unterschiedliche Ansichten bestehen. Bei den erwähnten Bestimmungen handelt es sich um Konsumentenschutzrecht, das auf einer europäischen Richtlinie beruht und in ganz Europa gilt. Aus der Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten wäre eine Lockerung der Rückzahlungspflichten natürlich unvorteilhaft.

Gemäss Auskünften des Bundesamtes für Justiz hat das Parlament am 14. Dezember 2018 mit der Überweisung des Postulats 18.4004 den Bundesrat beauftragt zu prüfen, inwieweit das Pauschalreisegesetz revisionsbedürftig ist, insbesondere auch im Hinblick auf die neue Richtlinie der EU. Die Rückzahlungspflichten der Reisebüros bildeten hier aber nicht Gegenstand der Diskussion, diese sind auch in der neuen Richtlinie weiterhin enthalten. Ob sich hier aufgrund der gegenwärtigen Krise ein Anpassungsbedarf ergibt, ist noch offen.

Nur schon die Änderung des PauschRG, mit dem die Durchsetzbarkeit der heutigen Anforderungen an die Kundengeldabsicherung endlich gewährleistet werden soll, hängt seit 2014 fest. Warum dauert so lang, und wann geht’s da weiter?

Die punktuelle Anpassung des Pauschalreisegesetzes im Hinblick auf die Kundengeldabsicherung (Motion 14.3801) sollte gemäss Auskünften des Bundesamtes für Justiz dieses Jahr in die Vernehmlassung geschickt werden. Aufgrund der Überweisung des Postulats 18.4004 wurden die entsprechenden Arbeiten vom Bundesamt für Justiz noch einmal zurückgestellt, um die Arbeiten zu verbinden. Das Dossier wird im Nachgang an die gegenwärtige Krise und auch der sich daraus ergebenden allfälligen Anpassungen im europäischen Recht wohl noch einmal grundsätzlich angeschaut werden müssen.

Welche weiteren Perspektiven für die Reisebranche sehen Sie, welche Lösung für ihre derzeitigen Schwierigkeiten ist auf dem Tisch?

Wie auf EU-Ebene wird es auch in der Schweiz eine Diskussion benötigen, ob die Rückerstattungspflicht gemäss Pauschalreisegesetz angepasst wird. Die hierfür notwendige Zeit könnte mit der Gewährung des Rechtsstillstandes gewonnen werden.

Interview: TRAVEL INSIDE