Feedback: «Wir, die gesunden Wegwerffirmen»

Im Härtefall-Programm der Corona-Krise stellt sich wieder die Frage der Systemrelevanz

Koni Kölbl, Travel-Solutions GmbH, Bremgarten

Koni Kölbl

«Im Härtefall-Programm der Corona-Krise stellt sich wieder die Frage der Systemrelevanz, bzw. der gnadenlosen Triage zwischen den Unabkömmlichen und den Entbehrlichen.

Alles geschieht in der Stille, nun auf Kantonsebene. Unser Föderalismus wird für Härtefall-Branchen (und auch der Reisebranche) zum Verhängnis – es ist ein ‘Leiterlispiel’ mit Bedrohungsfaktor für Existenzen.

Gesunde Reiseunternehmen sind zu einem Teil eines Wegwerfsystems geworden. Wir haben uns über Jahre hinweg „wirtschaftlich bekömmlich“ verhalten indem wir Reserven aufgebaut haben. Weiterhin haben wir Kundengelder abgesichert und wir haben uns dem Pauschalreisegesetz und dem Montrealer Übereinkommen zu Untertanen gemacht. Wir waren rechtens konform und immer nett.

Durch 10 schwierige Monate sind diese Reserven aufgebraucht oder werden bald aufgebraucht sein. 

Wer hingegen ‘auf Pump’ funktionierte und zuvor keine Reserven bildete erhält nun in gewissen Kantonen Unterstützung. Eine vorsichtige Geschäftspolitik wird bestraft. Dies ist empörend, ungerecht. 

Behörden und Politiker*innen gewisser Kantone haben nicht verstanden, was der genaue Sinn und Zweck des COVID-Gesetzes eigentlich in der Krise einbringen sollte. Die letzten Beispiele kommen aus dem Aargau und Schaffhausen. Die Liquidität eines Reisenternehmens wird falsch interpretiert oder eingereiht (Kundengelder gehören z.B. in der Bilanz eines Reiseunternehmens als ‘kurzfristiges Fremdkapital’) und es werden unpräzise Antragsformulare erstellt.

Gesamtschweizerisch werden wir nun mit quasi 26 verschiedene Kriterienkataloge und Lösungen für Härtefälle beschert – dies nach einem monatelangen Tauziehen im nationalen Parlament. Mit Blick auf die Nachbarländer und deren Krisenbewältigung, kommt schon fast der Wunsch hervor, die direkte Demokratie abzuschaffen oder diese zumindest in Frage zu stellen.

Das klassische Politumfeld hat sich in den letzten Jahren verändert. Wo stehen die sogenannten Wirtschaftsparteien? Was ist die Rolle einer FDP, einer GLP? Warum ‘muss’ eine Partei wie die Grünen mit Regula Rytz die KMU –Reisebranche miteinbezogen – unterstützen?

Dass sich die SP u.a. mit Mattea Meyer dafür engagiert ist selbstverständlich, aber auch sehr lobenswert. Die Reisebranche ist diesen Parteien und dessen engagierten Politiker/innen dafür sehr dankbar. Die Antwort liegt auf der Hand: Menschen helfen Menschen – aber das kann nicht von allen verstanden werden.

Wie jedes Unternehmen hat auch ein Staat die Pflicht, Reserven für schlechte Zeiten zu bilden. Diese Reserven sollen zum Schutze der Bevölkerung und in der Not eingesetzt werden, dies obwohl ,zukünftige Generationen dafür zu bezahlen haben’ (Aussagen SVP-NR Aeschi und Rösti). Noch besser: ‘Wenn wir Schulden machen, dann geben wir das Geld unserer Kinder aus.’ (BR Ueli Maurer). Und die Covid-Kredite, wessen Geld ist dann das Herr Maurer? 

Es wird nicht beachtet oder gerne vergessen, dass Staatsreserven bis und mit ‘unserer’ Generation gebildet wurden. Liebe SVP: Hier geht es auch um ‘Landesverteidigung’ oder ‘Bevölkerungsschutz’. Nur ist der ‘Feind’ ein Virus, der unser Leben, einen Teil unserer Wirtschaft und unsere gesamte Gesellschaft zerstören kann. Rettung in der Not hat keinen Preis. 

Als systemrelevant galten hierzulande schon immer Banken, Jurist*innen, Versicherungen, Konzerne, Krisenmanager und ihre Exekutive, die technische und medizinische Infrastruktur, das Militär, die Landwirtschaft als Grundversorger und – seit der Covid-Krise seltsam genug – Prostituierte oder Baumärkte. Aber relevant für welches System?

Vom puren ökonomischen System kann dabei nicht die Rede sein denn seine Produktion wurde reduziert oder gestoppt. Das gesellschaftliche System scheidet aus, weil nahezu alle gesellschaftlich-politische, sogar künstlerische Betätigung verboten wurde; auch nicht in Frage kommt das System der Justiz, denn Grundrechte wurden temporär suspendiert, und nicht einmal das der symbolischen Kommunikation, deren Symbole abrupt umgewertet wurden. Menschlicher Umgang ist auf unbestimmte Zeit ‘auf Hold’ gesetzt. Wir warten alle darauf, uns wieder ‘normal’ begegnen zu dürfen.

Die „Logik der Systemrelevanz“ spaltet: Wo es Unabkömmliche gibt, da gibt es Entbehrliche, denn keine Nutzniesser finden sich da, wo nicht auch Verlierer sind – es ist das ‘Ying & Yang’ des Systems. 

Ungerechtigkeit und gar Unterdrückung berufen sich weltweit auf Corona. Die bereits einsetzende Armut und die daraus resultierenden Hungersnöte könnten auf dem Globus Hekatomben fordern. Auch solche Perspektiven trüben die Zukunft der Reisebranche. Ein System, das sich breitgemacht hat, indem es das für sich und für sich allein ‘Relevante’ durchsetzte, hat auf diese Weise unzählige ‘Irrelevante’ hervorgebracht, ‘Wegwerfmenschen’, wie der französische Philosoph Etienne Balibar meint.»

Und wo es ‘Wegwerfmenschen’ gibt, da gibt es auch ‘Wegwerffirmen’.