Forum: Tourismusmarketing in «New Normal»-Zeiten

Ein Forums-Beitrag von Sibel Boner, Head of Commercial Partnerships Deutschland, Österreich, Mittel- und Osteuropa bei BBC Global News.
Sibel Boner. ©BBC World News

«In einer Grössenordnung wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig muss die Tourismusbranche in der gegenwärtigen Corona-Pandemie Einschnitte verkraften. Teilweise sind die Grenzen noch geschlossen, nach einem kompletten Shut-Down läuft das Geschäft nur sehr zögerlich wieder an. Wie die Branche nach der Krise tatsächlich dasteht, weiss noch keiner ganz genau.

Hoffnung am Horizont

Vor wenigen Monaten noch mitten in der tiefsten Krise versunken, sehen Länder wie China, Thailand und Südkorea inzwischen Anzeichen einer Erholung. Erhebungen der IATA von Ende Mai zeigen, dass das Flugreiseaufkommen in Korea, China und Vietnam inzwischen nur noch 22 bis 28% unter dem Niveau des gleichen Zeitraums im Vorjahr liegt.

Trotz der radikalen Auswirkungen von Corona auf die Branche bleibt eines sicher: der Wunsch zu reisen, sobald die Reisebeschränkungen aufgehoben werden. Wie unsere eigenen Marktforschungsergebnisse über die Reisepläne von Menschen weltweit zeigen, wollen mehr als die Hälfte der Frequent Traveller sobald die Pandemie vorbei ist, so schnell wie möglich reisen. Die Daten der IATA zeigten außerdem, dass die Google-Suchen nach Flugreisen im Vergleich zum Tiefpunkt im April Ende Mai um 25% angestiegen sind. Das Interesse an Reisen ist definitiv da, auch wenn wir aktuell (noch) nicht unsere Koffer packen und losreisen können.

Grosses Interesse an Reisethemen

Auch bei unseren eigenen Zuschauern von BBC Global News sehen wir eine ungebrochene Reiselust: Nach Monaten des Lock Downs stillen die Menschen weltweit ihr Fernweh, indem sie über Reiseziele recherchieren, die sie in Zukunft besuchen möchten. Bei BBC Global News konnten wir einen starken Anstieg der Klickraten auf unsere BBC-Travel-Seite verzeichnen. Auf dem Höhepunkt der Pandemie im April informierte sich eine Rekordzahl von Reiseinteressierten dort über Reisethemen, 34% mehr als im März. Der beliebteste Artikel wurde gar von über einer Million Menschen gelesen.

Mut ist angesagt

Die Abläufe und Vorschriften beim Reisen und das Verhalten der Kunden ändern sich gerade dramatisch. Die Reisebranche sieht sich in Zeiten des dramatischen Wandels vor einer grossen Herausforderung: Wie kommuniziere ich richtig mit meinen Kunden? Viele Kommunikationsmaßnahmen kamen bei Ausbruch der Pandemie abrupt zum Abbruch. Jetzt müssen Marken Mut zeigen. Unternehmen, die weiterhin und im richtigen Ton den Kontakt zu ihren Zielgruppen suchen, kommen schneller aus der Krise. Sie verankern sich im Gedächtnis des Konsumenten in einer Phase des reduzierten Wettbewerbs um die Aufmerksamkeit von künftigen Reisenden.

Verbraucherwille: Marken müssen kommunizieren

Das Marktforschungsunternehmen Kantar veröffentlichte kürzlich Ergebnisse einer weltweit durchgeführten Studie, wonach nur 8% der Konsumenten der Auffassung sind, dass Unternehmen wegen der Corona-Pandemie ihre Werbemassnahmen unterbrechen sollten. Im Gegenteil, es herrscht eine große Erwartungshaltung der Menschen in der Krise gegenüber den Marken. Diese müssen ihren Beitrag dazu leisten, den Alltag der Menschen zu erleichtern. 78% der von Kantar Befragten erwarteten von den Unternehmen eine Unterstützung in ihrem Alltag. 75% forderten, dass Marken ihre Kunden darüber informieren, was sie aktuell planen, und 74% waren der Auffassung, dass Unternehmen die aktuelle Lage nicht zu ihrem Vorteil ausnutzen sollten.

Ob und wie kommuniziert wird hat Langzeitwirkung

Die Art, wie Unternehmen auf die Krise reagieren, wird bei den Verbrauchern noch lange im Gedächtnis bleiben. 81% der Menschen gaben in der bereits erwähnten Kantar-Studie an, sie müssten Marken vertrauen können, den richtigen Weg in der Krise einzuschlagen. Ein ausgearbeiteter Marketingplan und starke Markenwerte sind deshalb heute wichtiger denn je. Auf die Bedürfnisse der Menschen mit einem klaren, lebendigen und authentischen Storytelling zu reagieren, ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg der Erholung der Branche.

Helden des Alltags werden weltweit geliebt und die assoziierten Marken mit ihnen

Eines haben wir sicher aus dieser Pandemie gelernt. Zwischenmenschliche Kontakte halten diese Welt am Laufen, und wir alle lieben die Helden des Alltags. In den eindrücklichsten Geschichten, die wir in den vergangenen Monaten gehört haben, standen Alltagshelden im Mittelpunkt: Menschen im Gesundheitswesen, Paketboten, Ladenbesitzer und Bahnbedienstete. Ihre Geschichten prägten sich ins Gedächtnis ein und brachten die Marken auf sinnvolle und authentische Art und Weise näher an ihre Kunden heran. Eine Kampagne, die ehrliche, menschliche Botschaften vermittelt, löst diese emotionalen Reaktionen bei den Zielgruppen aus, führt zu einer neuen Sicht auf das Reisen, die Destination und die Marke.

Datenbasis gibt Sicherheit für effektive Marketing-Kampagnen in unsicheren Zeiten

Grundlegend für jede Marketing-Kampagne ist die Datenbasis. Dies gilt umso mehr in Zeiten von Unsicherheit und Unwissen. Wir setzen hierfür unser hauseigenes neurowissenschaftlich-basiertes Instrument Science of Engagement ein. Das Tool weist wissenschaftlich nach, dass sich eine intensivere emotionale Auseinandersetzung positiv auf die Erinnerung an die Marke, eine positive Assoziation mit der Marke und die Bindung an eine Marke auswirkt. Dies gilt sogar für negative Gefühle, wie Trauer oder Angst. Die Kraft der Emotion und die Art, wie eine Marke in der Story wahrgenommen wird, ist der Schlüssel zu starken Beziehungen mit den Kunden.

Flexibilität in «New-Normal»-Zeiten

Die Reisebranche muss flexibel bleiben, ihr Angebot überprüfen und möglicherweise Änderungen wagen, um sich dem «New Normal» anzupassen und den neuen Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden.

Grenzen öffnen sich langsam wieder, Hotels nehmen Buchungen an, Fluglinien Passagiere. Das ist der richtige Zeitpunkt für Marken, um ihre Angebote zu überprüfen, ihre Werte in den Mittelpunkt zu stellen und potenzielle Kunden mit durchdachten Kampagnen anzusprechen, die ihre Herzen und ihren Verstand erreichen.»