Gastkommentar: «Swiss-Pilotenstreik wäre Riesenaufwand für Reisebranche»

Der TRAVEL INSIDE Autor und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Sollten die Swiss Piloten demnächst tatsächlich die Arbeit niederlegen und streiken, wäre dies, zumindest für die Schweiz, ein fast schon ‚historisches‘ Ereignis.

Nach letzten Einschätzungen stehen die Chancen, dass ab 28. oder 29. Oktober die Swiss Flieger grösstenteils am Boden bleiben ungefähr 50/50. Für die Reisebranche würde dies abermals zu einem Riesenaufwand und den damit verbundenen Kosten führen und die von der Swiss grosszügigerweise gesprochenen 10 Franken, für von uns getätigte Umbuchungen, wären dafür lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein.

Das Verständnis für die Piloten unseres Nationalcarriers hält sich daher in sehr engen Grenzen. Gemäss einer TI-Umfrage sind 81% der hiesigen Expedienten mit dem Vorgehen der Piloten, respektive der Pilotengewerkschaft Aeropers, nicht einverstanden. Es gibt aber auch Stimmen, welche für die Piloten Verständnis aufbringen. Diese sind aber dünn gesät und mit dürftigen Argumenten untermauert.

Die Aussage eines Aviatik Journalisten im «Blick» zum Beispiel, dass es «purer Neid» sei, wenn man den Piloten das «Anrecht auf einen Streik absprechen will», ist völliger Nonsens. Niemand will frustrierte, überarbeitete und gestresste Piloten im ‚Front Office‘!

Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass besonders jüngere Piloten bei gewissen Airlines viel zu wenig verdienen. Aber ist eine objektive Meinung mit den vorhandenen Infos zu den Forderungen, die auf dem Tisch liegen, überhaupt möglich?

Ich glaube, Emotionen spielen eine weitaus grössere Rolle als Fakten, die nicht im Detail bekannt sind und von beiden Parteien wohlweislich nicht oder nur scheibchenweise kommuniziert werden. Der Teufel liegt bekanntlich im Detail und es wäre hoch interessant, mehr über die Forderungen der Pilotinnen und Piloten und die Gegenvorschläge der Geschäftsleitung zu erfahren. Das wird aber leider, wie bei fast allen Streiks, nie der Fall sein.

Grundsätzlich ist ein Streik immer eine Erpressung oder Nötigung. Es ist mir kein Streik bekannt, bei dem die Öffentlichkeit mehrheitlich hinter den Streikenden gestanden hätte – zumindest nicht in der jüngsten Vergangenheit. Aber eben, wie der IG-Metall Vorsitzende Jürgen Peters vor einiger Zeit im Kölner «Stadt Anzeiger» bemerkt hat: «Ein Streik, der keinen wirtschaftlichen Druck ausübt, ist kein Streik, sondern kollektives Betteln.»

Für Swiss steht sehr viel auf dem Spiel. Unser Nationalcarrier ist über die Grenzen hinweg immer noch, wie seinerzeit Swissair, als sehr zuverlässig bekannt; wie ein Schweizer Uhrwerk. Dieser Ruf hatte nach dem Grounding im Jahr 2001 kurzzeitig gelitten, wurde aber innert kürzester Zeit wieder gefestigt. Auch Covid konnte daran, zumindest beim Publikum, nicht gross rütteln.

Ein Streik hingegen würde die Airline bis in die Grundfesten erschüttern – und das in einer sehr volatilen Zeit der Erholung nach Covid. Was für die Pilotinnen und Piloten auf dem Spiel steht, ist schwierig zu erahnen. Die Luftfahrt befindet sich in einer Aufschwungsphase und Piloten sind wieder gefragt. Gemäss Aussagen einzelner Exponenten, sind in den letzten Monaten bereits Dutzende Piloten zu anderen Airlines abgewandert.

Insbesondere Easyjet scheint momentan populär zu sein. Sie bieten ein ähnliches Gehalt, ca. 200’000 bis 220’000 pro Jahr für einen Senior Captain; das liegt zirka auf dem Lohnniveau der Swiss. Was aber fast noch wichtiger ist: bei Easyjet besteht Planungssicherheit, da der Einsatzplan immer für ein ganzes Jahr publiziert wird, bei Swiss erfahren die Piloten immer ca. 1 Woche vorher, wie der Einsatzplan für den nächsten Monat aussieht.

Planungssicherheit ist eine der Hauptforderungen der Pilotinnen und Piloten und wird schlussendlich entscheidend sein, ob gestreikt wird oder nicht. Swiss beharrt auf Flexibilität, die Piloten auf Planbarkeit. Bei den Gehältern wird wohl noch etwas hin und her gefeilscht, aber schlussendlich ist beim Geld viel eher ein Kompromiss möglich als bei den Arbeits- und Anstellungsbedinungen. Fakt ist jedoch, dass die Gehälter der Swiss-Piloten im europäischen Durchschnitt im oberen Drittel angesiedelt sind (gem. Zahlen von 2018).

Nebst Planungssicherheit und Geld, geht es aber noch um viele andere Details, die jeweils von den Parteien nur häppchenweise bekannt gegeben und dann gleich von der Gegenpartei relativiert oder bestritten werden. Nur die direkten Verhandlungspartner kennen alle Forderungen bis in das hinterste Detail.

Sollte es nächstes Wochenende tatsächlich zu einem Streik kommen, müsste man sich auch mal die Frage stellen, wie diese ‘unschweizerische’ Streikkultur eigentlich entstanden ist. Ein Faktor ist sicher die Tatsache das über 50% der Swiss-Piloten einen Deutschen Pass haben. Ein ehemaliger Swissair- und jetzt Swiss-Pilot, bemerkte kürzlich im «Blick»: «Wir Schweizer machen die Faust im Sack, aber wir würden niemals streiken.» Die deutschen Kollegen und Kolleginnen im Cockpit hätten ihre Schweizer Counterparts in den letzten Jahren ‘aufgerüttelt’.

Das soll keinesfalls ein Votum gegen die Deutschen sein, im Gegenteil, sie tun mit ihrer Offenheit und direkter Kommunikation unserer Hosensackkultur nur gut! Die Streikkultur hingegen passt, zumindest in der heutigen Zeit, nicht mehr so ganz in hiesige Gefilde, sonst haben wir bald Verhältnisse wie bei Lufthansa & Co., der Deutschen Bahn oder ganz Frankreich.

Das heisst nicht, dass den Pilotinnen und Piloten nur die Faust im Sack bleibt. Aber vielleicht, sozusagen als Warnschuss, hätten zwölf Stunden Arbeiten nach Vorschrift vielleicht der GL die Augen auch etwas geöffnet. Der Schaden wäre überschaubarer. Aber nun gleich zum Halali blasen und streiken, wird bei vielen Kunden und in der ganzen Branche das soeben zurück gewonnene Vertrauen wieder beschädigen.

Der Ruf der LX wäre zwar nicht zerstört, aber angeschlagen, da viele Pax wohl die Swiss in Zukunft auch zu den streikfreudigen Airlines wie BA, AF, etc. zählen würden. Das Ausmass des Schadens wird wohl in erster Linie von der Dauer des Streiks bestimmt werden.

Ich hoffe jedoch, dass in den letzten zwei Tagen die Vernunft siegen wird und wir am Montagmorgen mit erfreulichen News die Woche beginnen können. Es braucht jedoch von beiden Seiten substanzielle Zugeständnisse und vor allem eine grosse Portion Vernunft und Pragmatismus.