Legal Matters: «Ferien… alles vergessen»

Die Reiserecht-Kolumne von Dr. iur. Peter Krepper, Rechtsanwalt und Mediator.
Peter Krepper ©zVg

Sind Sie noch da? Sehr schön. Der Lockdown 1.0 im Frühling 2020 ist Geschichte, seine Folgen sind es noch länger nicht. «Ferien, in denen Sie alles vergessen», so warb vor wenigen Jahren noch ein grosser Schweizer Reiseveranstalter, den es aus anderen Schwächen nicht mehr gibt. Aktuell lautet die Devise eher «Ferien vergessen können». Das ist leichter gesagt als getan. Jedenfalls hängt viel Geld, für rundum alle Beteiligten, daran.

Wie kommt es eigentlich zu der buchstäblich unsäglichen Praxis, dass Schweizer Reisebüros als Tour Operator bei ihren Leistungsträgern, namentlich den Fluggesellschaften, aber auch etwa bei überteuerten Lodges ‘somewhere out in Africa’ usw., um das Rückerstatten der voraus-bezahlten Kundengelder betteln müssen? Was für Verträge haben sie mit denen denn geschlossen? Eine Frage der Marktmacht, wirklich, so einfach ist das?

Der Reisebüro-Kundschaft nicht erklärbar

«Unsäglich» schon deshalb, weil das der Kundschaft des Reisebüros ja fast nicht erklärt werden kann – und auch bei ihr ist hernach auf Kulanz, Solidarität, Verständnis und eben gar ein Vergessen zu appellieren, nämlich, den rechtmässigen Anspruch auf Rückerstattung bei Annullation durch den TO zeitnah oder überhaupt. Ein Wild West-Stil, neu weltweit: Die geben mir nichts, ich erstatte Dir nichts, und die Letzten haben Pech gehabt. Sie oder Ihr Kunde?

Ja, in meiner März-Kolumne habe ich Argumente und Möglichkeiten aufgezeigt, die noch unsäglichere Bestimmung von Artikel 10 Absatz 3 Bst. c Pauschalreisegesetz (PauRG) zu relativieren und praktisch handhabbar zu machen. Daran halte ich fest, viele meiner Kunden haben damit ihrerseits offenbar gute Erfahrungen gemacht – und sie haben zumindest überlebt! Doch auch deren Kunden verstehen wir Profis natürlich gut und gerne.

Im Kern geht es, nach dem erfolgreichen Überleben als Reisebüro, um mehr noch: um Fragen nach einer reiserechtlichen Gerechtigkeit, nach der Angemessenheit unseres Rechts für Konsumenten und die Branche in Fällen wie Corona (diese Pandemie wird ja nicht die letzte gewesen sein).

Längst bekannt ist und nicht vergessen werden sollte nun: Das PauRG von 1993, im Schnellgang und mehr oder weniger unbelastet von praktischer Kenntnis der Reisebranche durch den Gesetzgebungsprozess gepeitscht, ist nicht nur von seinen 19 Artikeln her schlank (was an sich erfreut). Leider ist es zudem von seiner inhaltlichen Konzeption her bescheiden, gemessen daran, was für die Reiseveranstalter damit auf dem Spiel steht.

Das Beispiel dieser Tage – hier nochmals angeführt

Nach der Abreise haftet der TO für höhere Gewalt nicht mehr (PauRG 15), vor der Abreise hingegen voll (PauRG 10) – führt zu einem unwürdigen «Wer sich zuerst bewegt, hat verloren», denn: Der TO wartet nun bis zu allerletzt (Abreisetag oder noch später) ab und lässt die Kundschaft zappeln; diese annulliert nicht selbst, weil das für sie zu kostspielig wird. Sieht so eine nachhaltig gute Partnerschaft B2C aus, wünschenswerte Kunden-Bindung?

Konsumentenschutz ist ok. Aber man sollte es damit auch nicht übertreiben. Moderne Konsumenten sind informiert, wissen, was sie (nicht) wollen und lassen sich, aufs Risiko der Reisebüros und TO hin, beliebige Pauschalreise-Produkte individuell zusammenstellen. Billiger, weiter, folgenloser, für die Kundschaft nur. Wo liegt da noch der Macht-Vorsprung der TO, der zu einem solchen gesetzlichen Ausgleich für die «schwächere Partei Kundschaft» führt?

Auch der Rechtsstillstand ist ok; aber kaum ein probates Mittel des Rechtsstaats mittelfristig. Ebenso helfen zinslose Kredite nicht in Zeiten, da Gewinne schon bei normal möglichem Geschäft in der Regel kaum mehr erzielbar sind. Bald fällt die Kurzarbeits-Entschädigung für Inhaber-geführte Reiseunternehmen wieder weg – und selbständig Erwerbstätige bleiben trotz ihren Beiträgen an die Sozialversicherungen selbst schutzlos bei Arbeitslosigkeit.

Es braucht eine mutige Revision des PauRG

Was es nun braucht, ist eine mutige Revision des Rechts: 1. Gleichbehandlung der höheren Gewalt im PauRG bei Pandemien vor und nach der Abreise, der TO tut, was er dann kann, und der Kunde bezahlt das. 2. Möglichkeit der gültigen Enthaftung der TO via AGB und Reiseverträge für weitere Risiken von (Pauschal-) Reisen bei Mikro-Tour-Operating. 3. Streichen der Pflicht zur Absicherung von Kundengeldern nur durch inländische Reisebüros!

Arbeitslose selbstständig Erwerbstätige sowie geschäftsführende Inhaber von (Reise-) Unternehmen sind generell durch die Arbeitslosenversicherung zu decken, soweit und sofern sie in einem zu bestimmenden Rahmen vorher Beiträge daran geleistet haben. Und um nochmals auf das PauRG zurückzukommen: Weshalb dieses nicht gleich ganz aufheben? Wer braucht dessen «Schutz» noch 2021 bei all den Informationen durch das Internet?

Unsere Bundes-Mühlen allerdings mahlen, jenseits von Notrecht, langsam. Der Konsumentenschutz ist mächtig, die Outgoing-Branche ist schwach und steht allein da. Ihr grösster Verband drängt gehorsam in Richtung Straftatbestand Kundengeld-Absicherung. – Die Rechtspraxis im Alltag jedoch bedarf nun erfolgreicherer Verhandlungen B2B und vertraglich abgesicherten Deals, welche das Papier wert sind, wenn es erneut darauf ankommt.

Vorauszahlungen von Kundengeldern «in die Büsche» gehören abgeschafft. Flüge schaden dem Klima, uns allen also, schwer; weshalb als Reisebüro sich mit solchen Unternehmen weiter herumschlagen? Flug-Tickets mag ab sofort, wer sie beansprucht, selbst buchen. Vergessen Sie (fast) alles, was Sie vom Reisen gehört haben und bisher kennen. Nachhaltiger Tourismus Incoming und Outgoing ist neu zu erfinden. Und das passende Recht dazu.


Dr. iur. Peter Krepper lebt und arbeitet als Rechtsanwalt in Zürich

Fragen an pk@ksup.ch