Reiselounge: «Grossteil unserer Freelancer erhält keinen Rappen»

Patrick Schweighauser, Gründer/Geschäftsführer der Reiselounge, zu seinem Modell der mobilen Reiseberater, zum steigenden Interesse daran, sowie über eine veränderte Reisewelt nach der Coronakrise.
Patrick Schweighauser

Patrick Schweighauser, wie hat Corona das Geschäft Ihrer Reiselounge mit dem Freelance-Modell verändert?
Wie alle in der Branche müssen auch wir uns vor allem mit Annullationen beschäftigen. Nach einem guten ersten Quartal ist der Umsatz massiv zusammengebrochen. Es kommen zwar ein paar wenige Buchungen herein, aber meistens müssen diese aufgrund von sich stets ändernden Einreisebedingungen und der BAG-Liste der Risikoländer wieder annulliert werden. Für das gesamte 2020 rechne ich mit einem Minus von 80% gegenüber dem Vorjahr.

Ein grosses Thema sind die ausstehenden Rückerstattungen von Leistungsträgern. Wie gehen Sie bzw. Ihre Freelancer damit um?
Wir haben die gleichen Probleme wie alle anderen Retailer. Konsequent erstatten wir aber nur das zurück, was wir selber auch bereits erhalten haben. Bei den Tour Operators funktioniert das gut, Probleme gibt es eigentlich nur noch mit den Airlines. Da sind noch immer einige Rückerstattungen offen. Aber die Kunden zeigen grosses Verständnis, dass wir so handeln. Bisher gab es keine Probleme.

Vor Corona hatten Sie mehr als 80 Freelancer, wie viele sind es heute?
Das ändert sich immer wieder. Es waren mal über 80, dann haben wir noch vor Corona etwas gefiltert und uns von jenen mit sehr wenig Umsatz getrennt. Aktuell sind es 68 Freelancer.

Für wie viele von ihnen ist diese Arbeit der Haupterwerb?
Es gibt einige wenige, die verdienen mehre 10000 Franken im Jahr. Aber ich spreche immer von Nebenerwerb, nie würde ich die Arbeit als Freelancer der Reiselounge als Haupterwerb anpreisen. Rund 70 Prozent hat mit uns einen Arbeitsvertrag als Freelancer, die restlichen sind Selbständigerwerbende. Alle blicken auf eine langjährige Erfahrung in der Reisebranche zurück und sind gut vernetzt.


«Die Arbeitslosenkasse wollte Kurzarbeitsentschädigung bezahlen, wurde aber vom Seco zurück gebunden»


Welchen arbeitsrechtlichen Status haben die Freelancer? Profitieren sie von irgendwelchen finanziellen Leistungen wie Kurzarbeitsgeld, Erwerbsersatz usw.?
Der arbeitsrechtliche Status ist etwas speziell, was sich in dieser Krise zeigt. Jene mit einem grossen Volumen sind Selbstständigerwerbende und konnten Erwerbsersatz geltend machen. Das hat bisher gut funktioniert.
Jene mit einem Arbeitsvertrag mit uns – das ist der Grossteil unserer Freelancer – fallen zwischen Stuhl und Bank, womit ich grosse Mühe bekunde. Sie bezahlen AHV/IV/ALV-Beiträge, erhalten nun aber keinen Rappen. Die Arbeitslosenkasse wollte eigentlich Kurzarbeitsentschädigung bezahlen, wurde aber vom Seco zurück gebunden. Die Knacknuss scheint zu sein, dass die Freelancer keinen Fixlohn haben und ihre Kunden selber akquirieren, sich also selber Aufträge beschaffen. Daran scheint das Ganze zu scheitern. Das ärgert mich echt, sind doch auch etliche allein erziehende Mütter davon betroffen.

Die ganze Reisebranche ist massiv unter Druck. Viele Arbeitsplätze gehen verloren. Wurden Sie bereits von betroffenen Reiseprofis kontaktiert?
Ja, ich habe viele Anfragen. Einerseits von Mitarbeitern, die ihre Stelle verlieren, nun die Branche wechseln aber trotzdem ein Bein in der Reisebranche behalten wollen. Andererseits wurde ich von Tour Operators kontaktiert, um gemeinsam Lösungen zu finden für Personen, die dort gehen müssen. Von allen Interessenten haben sich bis jetzt erst zwei definitiv entschlossen, bei uns als Freelancer zu starten.

Werden die durch Corona bedingten Veränderungen und Umstrukturierungen in der Reisebranche Ihrem Modell Auftrieb geben?
Mittelfristig kann ich mir das vorstellen. Aufgrund der aktuellen Nachfrage nach Reisen macht es derzeit aber nicht viel Sinn. Ein gesteigertes Interesse konnte ich schon nach dem Swissair-Grounding und bei der Schliessung der SBB-Reisebüros feststellen. Da konnten wir einige ausgewiesene Branchenprofis für uns gewinnen.


«Ich glaube nicht an einen courant normal bereits im 2021»


Wie wird die Reisebranche nach Corona aussehen?
Das ist ganz schwierig einzuschätzen. Ich denke, ausschlaggebend wird sein, wie lange die Krise dauert und welche Auswege es gibt, z.B. in Form einer Impfung oder/und eines wirksamen Medikaments. Das würde sicher die ganze Situation entspannen. Dass wir 2021 bereits courant normal haben werden glaube ich nicht. Aber irgendwann wird ein Nachholbedarf da sein.

Und bis dahin?
Die Frage ist, wer auf der Strecke bleibt, sei es bei den Airlines, den Veranstaltern, den Reisebüros aber auch bei den Leistungsträgern vor Ort. Als Inhaber eines Riad in Marokko kenne ich die Probleme auch von dieser Seite. Die Grenzen sind zu, viele Riads gehen in Konkurs, da sie mit Bankkrediten renoviert wurden, die nun nicht mehr zurück bezahlt werden können. Eine ganz schwierige Situation, viele können nicht überleben und schliessen. Zum Glück habe ich kaum Unkosten und bei den Mitarbeitern erhalte ich etwas Hilfe vom marokkanischen Staat. Das Angebot an Unterkünften wird nach Corona nicht mehr so vielfältig sein.

Und wie sehen Sie die Zukunft der Reiselounge?
Ich bin zuversichtlich. Wir haben keine Büros und der Kostenblock ist minim. Finanziell sind wir gesund und können auch einen längeren Zeitraum überstehen.

(Interview: Urs Hirt)


Das Freelance-Modell der Reiselounge – Arbeiten fast wie mit einem eigenen Reisebüro
Laut Patrick Schweighauser von der Reiselounge mit Sitz in Münsingen kommen als Freelance (mobile Reiseberatung/-verkauf) nur Reiseprofis mit Erfahrung, Destinations- und Systemkenntnissen in Frage.
Voraussetzung ist auch, dass man für keinen anderen Retailer tätig ist. Dank einer web-basierten Software braucht es keine Büroräumlichkeiten, die Kundenbetreuung erfolgt von zu Hause aus, beim Kunden oder an jedem anderen Ort.
Nach Überprüfung der Angaben eines Interessenten oder einer Interessentin wird eine Vereinbarung unterzeichnet und ein persönlicher Agentenstatus erteilt. Mit diesem erhalten die Freelancer Zugang zum mobilen Backoffice TQ24.net und damit zu CRS, GDS, Tour Online und vielem mehr. Die mobile Plattform kann laut Schweighauser mit Hit von Hotelplan verglichen werden. Jeder Freelancer hat einen geschlossenen Bereich mit allen Aufträgen, Übersicht über Zahlungseingänge usw.
Die Freelancer treten ausschliesslich als Reiselounge auf und erhalten dafür auch entsprechende Visitenkarten sowie eine eigene @reiselounge.ch-Mailadresse. Die Kundengelder sind über den Garantiefonds der Schweizer Reisebranche abgesichert.
Der Verdienst beträgt je nach Umsatz zwischen 50 und 60% des erzielten Bruttogewinns auf Reiseleistungen, Ticket- und Bearbeitungsgebühren gemäss Gebührenliste. Die Auszahlung erfolgt monatlich, massgebend ist das Abreisedatum.
Die meisten Freelancer haben einen Arbeitsvertrag mit der Reiselounge. Freelancer sind in erster Linie für die Beratung und Planung, die Buchung, den Vertragsabschluss und die Rechnungsstellung zuständig. Bei der Reiselounge kümmern sich erfahrene Mitarbeitende um die gesamte Administration wie Inkasso, Erstellung/Weiterleitung der Reiseunterlagen, monatliche Provisionsabrechnung oder die Anmeldung und Ablieferung von Beiträgen an AHV/IV/EO und ALV sowie die Ausstellung eines Lohnausweises.
Das Grundpaket mit Zugriff auf das mobile Backoffice mit all seinen Möglichkeiten sowie einem individuellen Einführungskurs kostet CHF 250. Danach kann alles kostenlos genutzt werden. (UH)