Opinion: Quo vadis «Massen-Spassdampfer»?

Riesige Kreuzfahrtschiffe werden – wie der Massentourismus generell – zunehmend kritisch kommentiert. Doch wie oft: Ganz so simpel ist es nicht.
Beat Eichenberger, Cruise-Insider TRAVEL INSIDE und Chefredaktor «cruisetip».

Mit dem Comeback der Schiffsreisen nach der Pandemie mehren sich erneut Stimmen, welche die Kreuzfahrten in Bausch und Bogen verdammen.

Nicht von «Dreckschleudern» und «Klimakillern» sei an dieser Stelle mal die Rede – über die heutigen Massnahmen zur Verminderung der Luftverschmutzung und den (wie für die gesamte Mobilität) anstehenden Herausforderungen und Entwicklungen auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft informieren TRAVEL INSIDE und das Schweizer Schiffsreisemagazin «cruisetip» regelmässig.

Nein, gemeint ist hier die Entrüstung, man werde nie im Leben auch nur einen Fuss auf einen dieser «Massen-Spassdampfer» auf See setzen und damit erst noch zum Overtourism beitragen.

Wo Rauch ist, da ist auch Feuer

Vorab gilt: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Und die Cruise-Industrie muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie zu lange nur einem «Spektakel- & Fun»-Image frönte anstatt die latente Negativ-Welle gegenüber riesigen Kreuzfahrtschiffen zu beachten und das Wesen einer Schiffsreise in seiner ganzen Vielfalt (wie auch Ambivalenz) darzustellen.

Doch gilt dies nicht ebenso für die gesamte Ferien- und Reise-Industrie, die sich zu einem globalen Massen-Phänomen entwickelt hat mit Auswüchsen, die heute vielerorts Gegen-Reaktionen provozieren?

Das Image der Kreuzfahrten wird landläufig vor allem von Cruiselinern für vier-, fünf- oder sechstausend Passagiere geprägt. Diese Giganten der Meere vereinen kumuliert die grösste Betten-Kapazität auf sich, doch die Zahl der kleineren und intimen Schiffe für einige Hundert Gäste ist grösser – man hat also sehr wohl die Wahl.

Doch kleine Schiffe sind meist im Premium- und Luxus-Segment angesiedelt und weisen ein höheres Preisbild auf als grosse Cruiseliner, die dank der Skalen-Effekte über ein sehr attraktives Preis-Leistungsverhältnis verfügen und Seereisen für jedermann erschwinglich machen – die Demokratisierung einer Reiseformel steht somit der Exklusivität für wenige gegenüber. Allerdings: Es gibt kein Menschenrecht auf eine Kreuzfahrt.

Was die grossen Cruiseliner zudem charakterisiert, und dies darf man durchaus bedenken, ist ihre beeindruckende, ja gar spektakuläre Bord-Infrastruktur auf limitiertem Raum, die viele Resorts an Land vor Neid verblassen lassen. Nicht wenige Hoteliers räumen offen ein, dass neue, wegweisende Resort- und Gastro-Ideen heute oft auf Kreuzfahrtschiffen entwickelt werden und nicht an Land.

Die Innovationen, die Logistik und der Betrieb einer schwimmenden Ferienanlage verdienen zumindest Respekt. Ebenso die smarten Vorkehrungen, die nie das Gefühl aufkommen lassen, sich mit einigen Tausend Menschen an Bord zu tummeln.

Grosse Megaliner sind nicht jedermanns Geschmack

Aber ja: Grosse Megaliner sind nun mal nicht nach jedermanns Geschmack und müssen es auch keineswegs sein. Wer lieber in Ruhe im Calancatal wandert, ist bestimmt naturnaher, individueller und nachhaltiger unterwegs.

Wenn aber die indifferente Abneigung von Menschen kommt, die ansonsten regelmässig in trendige Städte fliegen, um sich dort «individuell» in das Altstadt-Getümmel zu stürzen oder sich in den neuen Boom-Cities der Welt am spektakulären Trend der Zeit zu fühlen, dann ist der Widerspruch offensichtlich.

Und nochmals ja: Die grossen Cruiseliner tragen an vielen angelaufenen Zielen zum Overtourism bei. Meist nicht hauptsächlich, aber sehr wohl punktuell. Bemängelt wird oft auch, dass die Cruise-Gäste – abgesehen von Hafengebühren und Ausflugs-Operators – den Zielorten nur wenig Geld bringen.

Was Sache ist: Kreuzfahrt-Reedereien sind wirtschaftlich ausgerichtete Reise-Unternehmen, die den legitimen Anspruch verfolgen, ihren Gästen den Besuch attraktiver Zielgebiete zu ermöglichen. Das ist eines von vielen Geschäftsmodellen in der globalen Touristik. Eine Verpflichtung für Häfen, Anläufe von Cruiseliner zu bewilligen, gibt es jedoch nicht.

Der Ball liegt also bei den angelaufenen Destinationen, bei Überbordung restriktive Einschränkungen festzulegen und durchzusetzen, so wie dies etwa bereits in Venedig, Bergen, Dubrovnik, Santorini oder Palma de Mallorca der Fall ist.

Der ökonomische Fussabdruck von Kreuzfahrtschiffen ist aber offenbar doch nicht so unbedeutend wie oft postuliert, sonst würden viel mehr Ziele das Anlaufen grosser Schiffe regulieren. Vielleicht auch aus der Überlegung heraus, dass der Schnupper-Besuch von Cruise-Gästen spätere (längere) Land-Aufenthalt generieren kann.

Das Austarieren unterschiedlicher Interessen zwischen der Wahrung der Authentizität eines Zielgebiets, worauf dessen Attraktivität ja beruht, der mit dem Tourismus verbundenen wirtschaftlichen Bedeutung und dem alltäglichen Leben der Bereisten ist eine Herausforderung, die der moderne Tourismus heute vielerorts verlangt.

Mega- und Gigaliner werden für den Volumenmarkt gebaut

Und die Reedereien? Noch werden weiterhin neue Mega- und Gigaliner für den Volumenmarkt gebaut, die aber fast ausschliesslich noch vor Corona bestellt wurden. Gut möglich, dass die «Destination Schiff» eines grossen Resort-Liners künftig noch akzentuierter in den Vordergrund gerückt wird.

Dieser Trend ist bereits seit längerem im Massenrevier Karibik ein Thema, wo auf gewissen Routen nur noch wenige (Massen-)Ziele angelaufen werden und die Gäste vor allem das vielfältige und komfortable Bord Leben geniessen, so wie viele Badeferien-Urlauber an Land kaum je einen Schritt aus ihrem Resort tun.

Jetzt kommen gar Kurz-Kreuzfahrten von Grossreedereien auf, die in der Karibik ausschliesslich die eine oder andere ihrer eigenen Privatinseln oder Privatstrände anlaufen – wäre so etwas dereinst auch im Mittelmeer oder in Asien denkbar?

Noch sind die «realen» Destinationen, nebst dem unbestreitbar herrlichen Erlebnis einer Fahrt über die Weite der Meere, für die meisten Kreuzfahrer die Hauptmotivation für eine Schiffsreise.

Das Szenario, dass vermehrt grosse Cruiseliner, anstatt in Häfen Overtourism zu provozieren, sich in ein sowohl an Bord wie an Land geschlossenes Ferienerlebnis wandeln könnten, mag erst Mal befremdlich nach «Ghetto-Tourismus» klingen, ist aber nicht gänzlich abwegig. Beweisen nicht Millionen von Menschen, die jährlich die Disney- und anderen Fun- und Action-Parks der Welt besuchen, dass es für einen derartigen Tourismus sehr wohl ein Bedürfnis gibt?

Eine verstärkte derartige Ausrichtung grosser Cruiseliner würde nicht nur viele heute überlaufenen Destination entlasten, sondern könnte zudem kombiniert mit dereinst aus neuen Treibstoffen gewonnener Energie für den Antrieb und Betrieb des Schiffes gar ein umwelt- wie klimaneutrales Ferienmodell darstellen, das seinesgleichen sucht.

Eine unsinnige Vision? Vielleicht, doch wer hätte vor gut 20 Jahren gedacht, dass heute die grössten Cruiseliner zweieinhalb Mal so gross sein werden wie der damals erste 100’000 BRZ-Liner der Geschichte?