Sarah Weidmann: «Wir werden gestärkt aus der Krise kommen»

Sarah Weidmann, Geschäftsführerin Smeraldo Tours, über die aktuelle Lage in Italien und die Chancen für Spezialisten.

Sarah Weidmann ist seit vier Jahren Geschäftsführerin von Smeraldo Tours. Als Chefin des Italien-Spezialisten ist sie und ihr Team durch die ständigen Änderungen der Bestimmungen tagtäglich gefordert. Ihre Kunden schätzen das Knowhow und Engagement.

TRAVEL INSIDE hat sie zum Corona-Jahr, zur BAG-Risikoländerliste, zum Reisen in Italien und den Chancen für Spezialisten nach der Krise gefragt.


Sarah Weidmann, seit über einem Jahr kämpft die Branche mit Corona – wie ist es Ihnen in diesem Jahr ergangen? 

Wir haben heute Jubiläum. Ein Jahr Kurzarbeit. Am 2. März 2020 haben wir eingegeben. Zu feiern gibt es nichts.  

Am 2. März bereits? Dann waren Sie aber relativ früh dran? 

Ja, wir mussten. Italien war das erste betroffene Land in Europa, deshalb mussten wir schnell reagieren. Aber wir dürfen nicht klagen. Wir haben mit Italien verhältnismässig Glück gehabt. Auch im letzten Jahr. 

Das heisst? 

Wir konnten trotzdem noch arbeiten. Die Italiener haben sich nach dem ersten Ausbruch sehr schnell um die Lage gekümmert. Am 22. Juni sind die Grenzen zu Italien wieder aufgegangen. Der erste Flug nach Sardinien war dann am 2. Juli. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir wieder anfangen zu arbeiten und zum Glück hat das Italien-Geschäft dann auch noch angezogen. Wir konnten auch die eine oder andere schöne Buchung tätigen. Das hat auf jeden Fall geholfen in diesem Katastrophenjahr. 

Wie viel Umsatz haben Sie gegenüber 2019 verloren? 

Unsere Umsätze betrugen noch lediglich 40% vom Vorjahr. Glücklicherweise hatten wir von Juli bis Oktober ein paar Buchungen und an den Destinationen herrschte praktisch Normalbetrieb – klar, es gab Regeln und Massnahmen, aber das hat alles gut geklappt. Ich war Anfang Juli vor Ort und habe über Social Media in Form eines Testreiseberichtes aufgezeigt, dass man reisen kann. Wir konnten somit sicherlich auch einen grossen Teil unserer Kunden etwas beruhigen.  

Aber klar, mit einem normalen Jahr ist dies in keiner Weise zu vergleichen. 

Wie sieht es in diesem Jahr aus? 

Jetzt herrscht natürlich eine andere Situation. Die Hochbuchungssaison im ersten Quartal fehlt aufgrund der weiterhin anhaltenden Reiserestriktionen komplett, die Bücher sind praktisch leer.  

 Allerdings merken wir, dass die Lust auf Reisen wieder grösser wird, eine gewisse «Lockdown-Müdigkeit» hat sich eingestellt.  

In Italien sind in gewissen Regionen die Regeln lockerer. In gelben Zonen haben beispielsweise Restaurants bis um 18.00 Uhr geöffnet. Aber es gibt natürlich weiterhin gewisse Umstände und Bedingungen, die das Reisen generell erschweren (z.B. PCR-Test bei der Rückreise, aber nur mit dem Flugzeug, etc.).   

Was halten Sie von der BAG-Risikoländerliste? 

Eigentlich überhaupt nichts! Wir sind aber natürlich in erster Linie froh, dass Italien ein Nachbarland ist. Italien als Ganzes kann nicht auf die Liste kommen, sondern nur Regionen (so zumindest der heutige Stand…). Das ist gerade für Sardinien wichtig. Grundsätzlich gilt, dass bei Inseln gut kontrolliert werden kann, wer ein- und ausreist. 

Wie ist denn die Situation auf Sardinien? 

Sehr gut. Seit dem 1. März ist Sardinien die erste weisse Zone Italiens. Das ist fantastisch! 

Wie kompliziert ist es für Sie mit den unterschiedlichen Regionen? 

Es ist ziemlich kompliziert. Es ändert sich ständig. Italien führt bis und mit 30. April das Zonensystem weiter. Es gibt weisse, gelbe, orange und rote Zonen und je nach Zone gelten verschiedene Regeln. Sardinien wurde wie erwähnt nun als erste Region als weisse Zone eingestuft. Das heisst, dass auf Sardinien die Restaurants wieder normal geöffnet haben, auch am Abend.  

Haben Sie ein Schema, wie Sie die unterschiedlichen, sich ständig ändernden Regeln im Überblick behalten können? 

Wir haben den Vorteil, dass wir nach wie vor unsere eigenen Mitarbeiter vor Ort haben. Wir sind daher sehr nahe an der Quelle und werden unmittelbar über Veränderungen informiert.  

Ist das eine Chance für den Spezialisten? 

Natürlich, das ist eine Riesenchance für uns alle, auch für die Zukunft. Ich bin sicher, dass wir gestärkt aus der Krise kommen werden, da wir dem Kunden mit unserem Know-How und unseren Kontakten vor Ort jederzeit mit aktuellen Informationen versorgen können.  

Wenn man von Sardinien zurückfliegt, braucht es einen PCR-Test – reisen deshalb mehr Kunden mit dem Auto? 

Es gibt beides. Aber ja, wir haben vergleichsweise mehr Anfragen von Kunden, die mit dem eigenen Auto reisen möchten, da merkt man schon eine Veränderung. Dies stellt uns allerdings vor neue Herausforderungen, z.B. wenn gewisse Regionen für die Durchfahrt plötzlich auf einer BAG-Liste landen. Wir sind also über jeden Kunden froh, der mit dem Flugzeug reist. 

Gibt es denn Flüge? 

Ja, Sardinien wurde in normalen Zeiten fast jeden Tag angeflogen. Jetzt hat die Swiss, bzw. Edelweiss, den Flugplan etwas ausgedünnt. Aber Sardinien wird immer noch drei- bis viermal in der Woche angeflogen und damit können wir gut arbeiten.  

Es ist einfach etwas ärgerlich, wenn Phantasie-Flugpläne publiziert und nun viele Flüge wieder gestrichen werden. Das hat viele Umbuchungen zur Folge.  

Sardinien-Reisen sind keine Billigferien – fallen die Kosten für die Tests da überhaupt ins Gewicht? 

Ich glaube nicht, dass es den Kunden primär ums Geld geht. Es scheitert nicht an diesen 100 bis 200 Franken. Die Organisation ist die grössere Herausforderung. Die Kunden möchten ungern während ihren Ferien für einen PCR-Test vor Ort in ein Spital. Das verstehe ich auch. Ich würde das auch nicht wollen. Am Flughafen vor der Rückreise einen Schnelltest zu machen ist sicherlich viel angenehmer und auch sinnvoller, die Infrastruktur dafür steht bereit. 

Haben Kunden Angst in der Feriendestination positiv auf Corona getestet zu werden? 

Bei uns ist das eher weniger ein Problem, da Sardinien nicht sehr weit weg ist. Auch wenn die Flüge plötzlich eingestellt würden, gäbe es andere Möglichkeiten, nach Hause zu kommen.  

Ist Travel-Shaming ein Thema bei Ihren Kunden – haben sie ein schlechtes Gewissen in die Ferien zu gehen? 

Hier ist die Schweiz ziemlich gespalten. Die einen sagen, man solle im Moment auf keinen Fall in die Ferien, andere wiederum wollen genau jetzt gehen, da die Zahlen in den Destinationen meist tiefer sind. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass ein Teil der Bevölkerung auch aus Angst von Vorwürfen aus dem Bekanntenkreis nicht reisen will. Ich denke aber, dass das im letzten Jahr vielleicht noch schlimmer war. Die Frage ist, wie lange die Bevölkerung noch bereit ist, nur in der Schweiz zu bleiben. Letztes Jahr waren viele hierzulande unterwegs, gingen campen oder in ein Ferienhäuschen in den Bergen – ich sehe das aber nicht als einen Trend, der mehrere Jahre andauern wird. Der Schweizer reist und entdeckt gerne.  

Was braucht es, dass die Reiselust der Kunden für Ihre Destination vollumfänglich zurückkehrt? 

Es braucht Änderungen bei der Testregelung. Es sollten nur noch Reisende getestet werden müssen, die aus Risikogebieten zurückreisen. Das wäre unser und auch der Wunsch vom SRV.  

Bei uns hatte das Geschäft vor dieser PCR-Testpflicht bei Rückreise deutlich zugelegt. Die drei bis vier Wochen vor dieser neuen Regelung hatten wir viele Kunden, die sich für die Sommerferien Gedanken gemacht hatten und buchen wollten.  

Schön wäre es auch, wenn das BAG nicht mehr von Reisen abrät.  

Als dritter Punkt müssen wir weiterhin darauf zählen können, dass die Destinationen einen guten Job machen, die Konzepte funktionieren und die Zahlen tief bleiben. Wenn das alles passt, sollte einer einigermassen geordneten Saison nichts im Wege stehen. Aber bis wir wieder Umsätze generieren können wie 2019 wird es noch einen Moment dauern.  

Ist der Impfpass eine Option für Sie? 

Das ist ein sehr kontroverses Thema. Ich bin nicht sicher, ob dies letzten Endes wirklich die Lösung ist. Ich glaube, ein System mit zwei Optionen wäre sinnvoller. Entweder man hat den Impfpass und kann ohne Tests usw. reisen oder man muss weiterhin einen PCR-Test machen und in Quarantäne gehen, wenn man aus einem Risikogebiet zurückreist.  

Was wäre, wenn Italien plötzlich nur noch Geimpfte einreisen lassen würde? 

Italien hat eine ähnliche Einstellung wie die Schweiz. In Italien sind längst nicht alle pro Impfung. Zudem ist es sehr schwierig, etwas in der Verfassung anzupassen. Darum sehe ich das nicht als ein realistisches Szenario.  

Sie haben vor Corona das Portfolio von Smeraldo mit den Kanaren erweitert – kommt es nun zur Kehrtwende?  

Aufgrund unseres sehr saisonalen Geschäfts waren wir in der Vergangenheit vor allem in den Sommermonaten sehr stark ausgelastet, nach Ablauf der Saison, von Oktober bis Dezember, hatten wir aber vergleichsweise wenig zu tun. Darum ist die Idee mit den Kanaren entstanden. Ausserdem haben wir gesehen, dass gerade für die kleinen Kanarischen Inseln ein Spezialist fehlt. Ich glaube nach wie vor daran, dass die kleinen Inseln für die Schweizer sehr interessant sind. Wir heben uns mit unserem Angebot diesbezüglich deutlich von anderen Anbietern ab.  Die aktuelle Situation spielt uns hinsichtlich unseren Expansionsplänen aber natürlich nicht gerade in die Karten. Aber zurückziehen werden wir uns auf keinen Fall. Smeraldo wird weiter wachsen. 

Ist Smeraldo in der Krise nicht kleiner geworden? 

Nein, wir mussten keine Mitarbeiter entlassen. Das war mir von Anfang an sehr wichtig. Unser Team ist das Kapital. Es ist das Herz von Smeraldo. Das Erhalten des Knowhows unseres Teams ist unglaublich wichtig.  

Unternehmen, die ihr Personal und somit einen grossen Teil dieses Knowhows verloren haben, müssen ja irgendwann wieder hochfahren. Das stelle ich mir als grosse Herausforderung vor. Neues Personal zu finden und auf ein bestimmtes Level zu bringen dauert Jahre. 

Im Sommer läuft, Stand jetzt, die Kurzarbeitsentschädigungsfrist aus – könnten Sie damit leben oder brauchen Sie die angedachte Verlängerung? 

Ich glaube, jeder in der Reisebranche braucht diese Verlängerung. Ein Ende der Krise ist noch nicht in Sicht. Aber ich bin zuversichtlich, dass diese Frist verlängert wird. Es sind ja nicht nur wir, die bei den Parlamentariern dafür werben, sondern auch grössere Firmen wie der Flughafen Zürich, die Swiss oder Swissport.  

Was erhoffen oder wünschen Sie sich am meisten von der Frühlingssession? 

Ich hoffe, dass die Bundesvorgaben bei der Härtefallhilfe (CHF 750’000) von den Kantonen nicht unterschritten werden dürfen und dass die Kantone, die noch nicht ausbezahlt haben, hier endlich handeln.  

Mein zweiter Wunsch wäre die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung sowie der EO-Entschädigungen für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung. 

Der letzte Wunsch wäre, dass man eine Lösung für die im Sommer abschliessenden Lernenden finden würde.  

Was heisst das genau? 

Für viele Lernenden wird es schwierig, nach Abschluss der Lehre im eigenen Betrieb zu bleiben oder überhaupt Fuss in der Branche fassen zu können. Jobs sind Mangelware. Darum würde ich es begrüssen, wenn der Bund gewisse Unternehmen zu einem Teil subventionieren würde, wenn sie sich verpflichten, den Lernenden nach dem Abschluss zu behalten. Wir müssen der nächsten Generation Sorge tragen.  

Ein Blick in die Glaskugel: Wo stehen Sie in einem Jahr? 

Es wäre illusorisch, wenn ich sagen würde, dass wir in einem Jahr wieder auf dem Niveau von 2019 sind. Aber die Lage wird sich erholen.  

Ich glaube, Corona wird nicht verschwinden, wir müssen lernen, damit zu leben. Trotzdem denke ich, dass wir in einem Jahr zu einer gewissen Normalität zurückkehren können. 

(Interview: Yannick Suter/Christian Maurer)