«Saudi-Arabien kann zu einer globalen Logistikdrehscheibe werden»

INSIDER-KOLUMNE von Peter Baumgartner. Er war für Swissair, Swiss und als CEO für Etihad Airways tätig.

Während meiner gesamten Laufbahn im Nahen Osten galt mein Augenmerk immer besonders Saudi-Arabien. Das Land war nicht nur ein absoluter Schlüsselmarkt für das von mir betreute Unternehmen.

Als mir das ungenutzte Potenzial Saudi-Arabiens langsam zu dämmern begann, wuchs auch mein Respekt davor, wie es die Wirtschaft auf regionaler und ganz sicher auch globaler Ebene umgestalten würde, wenn denn dieses Potenzial einmal voll ausgeschöpft werden würde.

Ich stellte mir die Auswirkungen als echten Umbruch für die Region vor – und in vielerlei Hinsicht auch für die Weltordnung. Die Frage war weniger, ob es passieren wird, sondern eher wann. Doch wie die Regel besagt: Um einen Wandel einzuleiten, muss es zuerst einen Wandel geben.

In der Tat hat Saudi-Arabien in den letzten Jahren einige interessante Veränderungen durchlaufen. Aus der flüchtigen westlichen Perspektive mag es so aussehen, als ob sich nicht wirklich viel geändert hätte. Dieser Eindruck täuscht jedoch gewaltig, denn die jüngsten Entwicklungen sind definitiv einen näheren Blick wert.

Das vor fünf Jahren gestartete Programm ‘Saudi Vision 2030’ war die treibende Kraft hinter wichtigen, grundlegenden Schritten, die wir nicht mehr einfach ignorieren können. Öffnet sich Saudi-Arabien der Welt? Ich meine, es ist gerade auf dem Weg dorthin.

Die Vision 2030 formuliert ihre Ziele klar: Sie versucht, die nationale Wirtschaft unabhängiger vom Öl zu machen, indem sie diversifiziert und nachhaltiger gestaltet wird. Sie zielt offen darauf ab, die grösste Volkswirtschaft des Nahen Ostens in eine Finanz- und Lifestyle-Destination zu verwandeln.

Ein immenses Unterfangen, wenn es konsequent durchgesetzt wird – und ich glaube, dass dies durchaus eine ernst zu nehmende und notwendige Anstrengung ist. Um erfolgreich zu sein, braucht es vor allem eines: Offenheit. Denn man kann sich der Welt nicht öffnen, ohne der Welt in ihrer ganzen Vielfalt ein wenig ähnlicher zu werden.

Was auch immer Ihr Standpunkt zu dieser Frage ist, es lohnt sich gleichwohl, diese Entwicklungen genauer zu beobachten. Tatsächlich hat das Land 2019 seine Grenzen für ausländische Besucher geöffnet und in der Tat sind auch einige Restriktionen aufgehoben worden. Und ja, es wird lauter nach Reformen gerufen.

Während der eine all das als blosse Fassade wahrnimmt, mag ein anderer diese Bemühungen als enorm und bedeutungsvoll ansehen. Ich möchte hier jedoch keine politische oder kulturelle Diskussion führen. Ich betrachte das Ganze in seiner Dynamik und im Wandel – und dadurch schärft sich mein Blick darauf.

Saudi-Arabien ist ein grosses Land mit einer grossen Wirtschaft und liegt geografisch genau an der Schnittstelle dreier Kontinente. Es ist daher nur logisch, dass eines der Ziele der ‘Saudi Vision 2030’ darin besteht, Saudi-Arabien zu einer globalen Verkehrs- und Logistikdrehscheibe zu machen.

Innerhalb des nächsten Jahrzehnts vorgesehene Investitionen von ca. USD 147 Mrd. in diesem Sektor verleihen dieser Vision einen immensen Schub. Bereits fliessen Ressourcen zunehmend in beide Richtungen. Es wird auf jeden Fall viel Bewegung geben. Ausländische Investitionen werden zunehmen. Die Region wird sich wandeln.

Der Weg zur Realisierung der Vision schliesst insbesondere für den Luftfahrtsektor sehr umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur für Passagiere und Fracht ein. Es liegt auf der Hand, dass die Luftfahrtindustrie mit ihren direkten, indirekten und induzierten Auswirkungen auf das BIP ein wichtiger – vielleicht sogar der wichtigste – wirtschaftliche Pfeiler für das Land ist.

Geplant sind erhebliche Anstrengungen zum Ausbau der Flughäfen in Riad und Jeddah sowie eine neue nationale Fluggesellschaft, welche von Riad aus die ganze Welt bedienen soll. Das Passagieraufkommen soll sich bis 2030 auf 200 Mio. verdoppeln, die Zahl der angeflogenen Destinationen soll von ca. 100 auf 250 steigen. Zudem sollen die Luftfrachtkapazitäten verdoppelt und der Seeverkehr gestärkt werden. Zahlreiche weitere Initiativen sind im Gange, wie etwa die Modernisierung des Nahverkehrs und der Ausbau des Verkehrsnetzes.

In meiner früheren Funktion an der Spitze einer führenden Fluggesellschaft der Region nannten wir uns stolz einen Teil der MEB3 – der ‘Middle East Big 3’. Saudi-Arabien war einer unserer gemeinsamen Top-Märkte, um unsere Netze mit soliden Einnahmen sowohl im Geschäfts- als auch im Freizeitsegment zu versorgen. Man muss kein grosser Visionär sein, um ein MEB4-Szenario in absehbarer Zukunft in Betracht zu ziehen.

Wenn jemand behauptet, der Markt gebe keine Koexistenz von vier regionalen Mega-Carriern her, dann mag das zwar gut und recht sein. Ich wüsste jedoch keinen Grund, warum unter diesen nicht eine saudische Fluggesellschaft ihren Platz haben sollte.

Eine leichte Aufgabe ist das alles dennoch nicht. Zunächst muss die Region die Touristen für sich gewinnen. Sie muss für ausländische Talente attraktiv werden. Sie muss dafür auch die notwendigen Grundlagen schaffen: An jedem so genannten ‘Touchpoint’ mit dem Land und seinen Angeboten muss die Erfahrung des Einzelnen – ob aus Ost oder West – positiv sein. Es ist klar, dass Geld allein nicht ausreicht, schon allein deshalb nicht, weil die regionale – und teilweise auch die globale – Konkurrenz nicht tatenlos zusehen wird.

Der Ehrgeiz, die Welt zu vernetzen, erfordert viel Offenheit. Offenheit, zu lernen und Dinge anders anzugehen. Offenheit, die Welt mit ihren unterschiedlichen Meinungen willkommen zu heissen. Vor allem, wenn man sich genau an der Schnittstelle zwischen Ost und West befindet. Ich denke, das ist ein Ansatz, dem wir uns anschliessen können. Lassen Sie uns die Augen offenhalten.

(Peter Baumgartner)