Chair-Pelizzoni: «Es war ein Ausnahmezustand»

Interview mit Chair-CCO Urs Pelizzoni. Das ganze Gespräch im neuen TRAVEL INSIDE Print von morgen Donnerstag.
©TI

Urs A. Pelizzoni hat turbulente Monate hinter sich. Doch nun kann er mit einem neuen Brand, neuen Mehrheitseignern und einem neuen starken Flugpartner die Zukunft in Angriff nehmen. Doch was geschah genau in den vergangenen sechs Monaten?

Im grossen TI-Interview nimmt Pelizzoni erstmals ausführlich Stellung.

Urs Pelizzoni, was geschah genau nach dem Grounding von Germania Deutschland?
Am 4. Februar haben wir vom Grounding der Germania Deutschland erfahren, bereits am 28. Februar wurden die gemeinsamen Systeme abgestellt. Eigentlich hatten wir mit dem Insolvenzverwalter vereinbart, dass sie bis Ende März laufen sollten, aber dies war leider nicht der Fall. Wir konnten nicht zulassen, dass unsere Flieger auch nur einige Stunden lang am Boden blieben. Es handelte sich um einen Ausnahmezustand, wo jeder sofort Eigenverantwortung übernehmen musste. Es waren über tausend Prozesse betroffen, und jeder musste über sich hinauswachsen, um dies alles bewältigen zu können. Jetzt bin ich unglaublich stolz auf das ganze Team.

Wie wurden nach dem Grounding denn die technischen Dienstleistungen abgefertigt, die zuvor Germania Deutschland übernommen hatte?
Operativ war es relativ einfach, denn die Flugoperation verfügt ja per se über die Struktur des Crisis Managements. Quasi ein Backup, das in einem Notfall zum Tragen kommt. Man muss sofort ein Krisenzentrum rauf fahren und die gesamte Operation betreiben können – egal, von wem welche Dienstleistungen bisher erbracht wurden. Als die Systeme abgestellt wurden, fand nur einige Stunden später der Flugbetrieb trotzdem wie gewohnt statt. Wir haben rund um den Flughafen Zürich eine hervorragende Servicekultur. Von Swissport über SR Technics bis zu Gate Gourmet kennen alle diese Szenarien und können auf solche Umstände möglichst optimal reagieren.

Mit den Systemumstellungen war es vermutlich nicht ganz so einfach?
40-50 kommerzielle Softwaresysteme wurden umgestellt. Dies sind Hunderte von Prozessen. Bis dato hatten wir rund eine halbe Million Passagiere befördert – mit Hundert-tausenden von Personen-, Zahl- und Ticketdaten. Da darf man schlicht nichts verlieren. Das sind Personen- und transaktionsbezogene Daten, welche strikten Regeln der Payment Service Provider unterliegen. Da kann ich nicht mal einfach nachfragen, ob sie mir zwecks Abgleich ihre Datenbanken zusenden würden (lacht). Zudem kamen sämtliche Anbindungen an alle anderen Buchungskanäle hinzu, Website, GDS, OTA und Agenturen, welche Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden mussten. Da sind wir auf gutem Weg.

Wo steht Chair hierbei auf einer Skala von 1 bis 10?
Ich würde sagen bei 7.

..und was geschah dann?
Nach der Insolvenz der deutschen Gesellschaften am 4. Februar traf bald einmal der Insolvenzverwalter ein und analysierte das komplexe Gebilde der Fluggesellschaft. Zu jenem Zeitpunkt waren ja ca. 700 Personen am Boden in den Back Offices tätig und rund 1000 in der Luft beschäftigt. Notabene verstreut über halb Europa. Der Insolvenzverwalter musste jedoch einfach die Insolvenzgesetze beachten und primär die Gläubiger schützen. Gleichzeitig streuten die digitalen Medien quasi im Minutentakt News zu Germania, welche dementsprechend verbreitet wurden. Positiv wie negativ. Wir selber hatten gar keine Zeit, über die Berichterstattungen nachzudenken.

…und das BAZL stand sogleich bei Ihnen auf dem Teppich.
Müssen sie ja, als überwachendes Organ. Es wurde und wird geprüft und überwacht, ob unsere Operation und unser Betrieb regelkonform läuft und funktioniert. Sie prüften – ganz salopp gesagt – ob wir nach wie vor «gemäss der Excel-Tabelle» fliegen konnten. Und dies mussten wir bis ins letzte Detail aufzeigen und beweisen. Ins Schwitzen gerieten wir hingegen mit den Rotationen unserer drei Flugzeuge. Wir transportierten 1200 Menschen pro Tag. Jede Stunde, in der sich ein Flugzeug nicht in der Luft befand, standen in irgendeinem Bereich sogleich zwischen 50 bis 100 Personen, die auf Hilfe angewiesen waren oder Fragen hatten. Dies waren Mengen, die sich von Minute zu Minute extrem negativ auswirken konnten. Die Leute dachten vermutlich «nicht schon wieder ein Grounding!»

Wie lief denn die Evaluation des Brands «Chair» ab?
Interessant (lacht). Wir haben Agenturen eingeladen, uns während des Pitchs – also innerhalb von 14 Tagen – ihre Vorschläge zu unterbreiten. Dies schreckte die ersten Agenturen bereits ab. Andere unterschätzten das Vorhaben. Bei uns musste es unkompliziert und schnell gehen, und wir haben penetrant gefordert. Anschliessend lagen zwei gute Vorschläge der Agentur «Branders» auf dem Tisch – und jener Name, der mehr Swissness beinhaltete, machte schlussendlich das Rennen. Die Aussprechbarkeit, Sinnhaftigkeit, das Marketing-Potenzial und die Polarisation waren ebenfalls ausschlaggebend.

An der Front wurde und wird immer wieder bemängelt, dass die Agenturbetreuung wochenlang schlicht nicht reagiert.
Wir sind momentan in einer Auslaufphase. Man leitet ja nicht lediglich die Telefonnummern um, sondern man muss alles neu zuweisen. Sprich: Gewisse Servicenummern wurden von Germania Deutschland in der Schweiz gemietet, und wir konnten diese nicht eigenmächtig abschalten. Dasselbe mit der Domain: Eigentlich hätten wir germania.ch erhalten sollten – dies war nicht der Fall. Deshalb mussten wir kurzfristig germaniaflug.ch aufschalten, die nun in chair.ch überführt wurde. Es handelte sich um tausende Prozesse, die innerhalb der vergangenen fünf Monate, bewältigt werden mussten. Selbstverständlich mussten wir auch Prioritäten setzen. Unser Refund-Volumen haben wir z.B. mittlerweile zu fast vollständig 99% erledigt.

Wie steht es nun um die Zukunftspläne der Airline und welche Chancen bieten sich mit Enter Air? Lesen Sie das gesamte Interview morgen in der neuen Ausgabe von TRAVEL INSIDE. (Elisha Schuetz)