Martin Rechsteiner: «Ich habe meine Möglichkeiten abgesteckt und zugegriffen»

Der Geschäftsführer/VR-Präsident von Müllener Touristik AG sowie Vorstandsmitglied und Ex-Präsident von Travel with a Difference (TwD) spricht über Umstrukturierungen in seinem Unternehmen, seine neue Tätigkeit ausserhalb der Branche und die Corona-Auswirkungen auf die Vereinigung und die Branche.
Martin Rechsteiner

Herr Rechsteiner, wie stark ist TwD bzw. seine Mitglieder von Corona betroffen?
Wie alle in der Branche sehr stark. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren kann. Die ganze Branche sitzt in einem Boot und kämpft um ihr Überleben.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Durch die Herausforderungen, denen die Outgoing-Branche ausgesetzt ist, sind alle massiv unter Druck. Aufgrund der stets wechselnden Quarantäne- und Einreisebeschränkungen sowie der unberechenbaren Flugsituation rechne ich mit einer sehr flach ansteigenden Kurve bei der Nachfrage. Es wird ein langer Weg zu back to normal. Vieles ist noch unklar, vor dem Frühling 2021 wird sich meiner Meinung nach die Situation nicht markant beruhigen. Ich kenne Veranstalter, die nehmen derzeit keine Buchungen an. Der Aufwand sei zu gross, da meistens wieder annulliert werde wegen veränderter Bestimmungen. So gibt es nichts zu verdienen.

Was ist jetzt wichtig?
Wir müssen realistisch bleiben, nicht zu idealistisch unterwegs sein nach dem Motto «es kommt schon wieder». Es gilt einen neuen Umgang mit dieser Situation zu finden und alles daran zu setzen, um diese Krise zu überstehen. Dazu gehören Überlegungen bezüglich Umstrukturierung, Anpassung von Geschäftsmodellen, rigorose Kostenkontrolle und mehr. Reisebüros wird es auch in Zukunft brauchen, aber in stark veränderter Form. Das Reisevolumen wird wohl nie mehr so gross werden wie zuvor.

Sind noch alle 17 TwD-Mitglieder (Veranstalter und Retailer) aktiv?
Ja, aber natürlich in reduzierter Form. Meines Wissens sind alle auf Kurzarbeit und haben einen Überbrückungskredit beantragt. Wer diesen beansprucht und in welchem Umfang kann ich nicht sagen. Für viele ist es existentiell, dass der Erwerbsersatz für Inhaber in arbeitgeberähnlicher Stellung und mitarbeitende Partner wieder zum Tragen kommt.


«Eine kollektive Aktion von Seiten TwD stand nicht zur Diskussion»


Der Hauptzweck von TwD (Verein von unabhängigen Schweizer Reisebüros und Veranstaltern) ist gem. Homepage der professionelle Austausch untereinander und gute Einkaufskonditionen. Wie kann TwD in der aktuellen Situation seine Mitglieder unterstützen?
Da möchte ich etwas ausholen: 2018 hat der inzwischen verstorbene Elmar Rüfenacht sein Amt als Geschäftsführer abgegeben. Danach haben wir die TwD Aktiengesellschaft in einen Verein umgewandelt und die Verwaltungsstruktur und damit die Kosten massiv heruntergefahren. Seither zeichnet der Vorstand für die TwD-Belange verantwortlich. Ich habe mein Amt als Präsident vor einigen Monaten zur Verfügung gestellt, bin aber noch im Vorstand. Ad interim hat Stephan Stalder von Take it Travel das Präsidium übernommen. Gerne möchten wir jemanden von der jüngeren Garde als Nachfolger oder Nachfolgerin gewinnen.
Bei der Vereinsstruktur sind weitere Kostensenkungen kaum möglich. Andererseits gibt es bei dem aktuellen Stillstand kaum Potenzial für weitere Gespräche über Einkaufsvergünstigungen mit Veranstaltern oder Leistungsträgern. Was im Moment sehr geschätzt wird ist der Austausch untereinander. Wir hatten im Juni das letzte gemeinsame Treffen aller Mitglieder. Das war sehr hilfreich, da z.B. nicht jeder Kanton das Prozedere für die Kurzarbeit gleich handhabt. Auch über die Beantragung eines Überbrückungskredits, den einige auch in Anspruch genommen haben, sowie über dessen Rückzahlung wurde gesprochen. Dieser Austausch gibt jedem das Gefühl, nicht alleine zu sein, was in dieser schwierigen Zeit auch mental wichtig ist. Letztlich ist aber jeder und jede sein eigener Chef und muss seine Entscheidungen selbst treffen.

Hat sich TwD nie überlegt, sich der Taskforce von SRV, TPA und STAR anzuschliessen?
Die oben angesprochene Autonomie unserer Mitglieder stellt es jedem frei, sich in irgend einer Form zu engagieren. Eine kollektive Aktion von Seiten TwD als Verein stand nicht zur Diskussion.

Welche Massnahmen haben Sie in Ihrem eigenen Geschäft umgesetzt, um diese Krise zu überstehen?
Relativ früh war mir klar, dass die Leidenszeit lange dauern wird. Wichtig war mir, dass das von meinem Schwiegervater Helmut W. Müllener 1986 gegründete und seit 2012 von mir geleitete Unternehmen mit Hauptsitz in Herisau und Filiale in Appenzell weiterbestehen kann. Wir haben noch vier langjährige Mitarbeiterinnen, sie sind alle auf Kurzarbeit, um ihre Arbeitsplätze möglichst zu erhalten. In Herisau haben wir von Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr geöffnet, in Appenzell gibt es Beratung on request nach Terminanfrage. Natürlich sind wir auf Wunsch auch ausserhalb der Geschäftszeiten für unsere Kunden da.


«Ich habe mir ausserhalb der Reisebranche ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden, habe aber natürlich noch immer ein Bein in der Branche»


Wie können Sie Kosten einsparen?
Wir haben die Kostenstruktur analysiert und nach Möglichkeiten gesucht, um die Fixkosten zu reduzieren. Dass uns das Haus in Herisau gehört, ist ein grosser Vorteil. In Appenzell haben wir mit dem Vermieter über eine Mietreduktion gesprochen. Die Kurzarbeit ist ein weiteres hilfreiches Instrument. Zudem haben wir einen Überbrückungskredit beantragt. Mir war aber auch rasch klar, dass jetzt die Zeit zum Handeln und für eine grössere Umstrukturierung gekommen ist. Und mein Bauchgefühl hat mich nicht getäuscht. Ich habe die Fühler ausgestreckt, meine Möglichkeiten abgesteckt und zugegriffen.

Was heisst das?
Ich habe mir ausserhalb der Reisebranche ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden. Offiziell seit dem 1. Juni bin ich in einem 80%-Pensum Betriebsleiter in einer Sozialfirma und dort für 120 Mitarbeitende verantwortlich. Dieser ganze Prozess hat mich persönlich weitergebracht. Ich habe natürlich weiterhin ein Bein in der Tourismusbranche und kümmere mich als VR-Präsident um die Müllener Touristik AG, unterstützt durch meine Frau, die Mitglied im VR ist. Wir beide stehen aber nicht auf der Lohnliste. Damit können wir unsere Firma entlasten, die Kosten senken und alles daran setzen, die Arbeitsplätze zu erhalten. Während die Ertragslage immer mehr unter Druck gerät, gilt es die Aufwandseite so weit zu minimieren wie irgend möglich. Wichtig ist uns, die Mitarbeitenden administrativ und moralisch zu unterstützen. Sie haben viele Ängste und Unsicherheiten zu stemmen, machen im Moment eigentlich nur Annullationen statt Reisen zu verkaufen, was doch ihre Kernkompetenz wäre. Das ist alles sehr frustrierend. Was die Zukunft für die Reisebranche bringen wird, ist von vielen Faktoren abhängig. Im eigenen Betrieb gilt es deshalb offen für jede Richtung zu bleiben und situativ Massnahmen zu treffen.

(Interview: Urs Hirt)

Die Mitglieder von TwD – Travel with a Difference
– Africa Design Travel Zürich und St. Gallen
– Amin Travel Zürich
– Bodana Travel Romanshorn
– Camper World Reisen Lyss
– Capricorn Reisebüro Ilanz
– Dive & Travel Flamatt und Horgen
– Engel Reisen Chur
– Heggli Reisen Weltweit Emmenbrücke und Kriens
– Holiday Lounge Küssnacht am Rigi
– Idea Reisen Altdorf
– Jenny Reisen Baar
– Laros Reisen Aesch
– Müllener Touristik Herisau und Appenzell
– Reisebüro Menziken, Menziken
– Reisebüro Sulzberger Neuhausen am Rheinfall
– Take it Travel Root
– TCTT Travel Lounge Zürich