TPA: «Keine klare Perspektive für die Zukunft»

Interview mit Sonja Laborde, Präsidentin TPA (Travel Professional Association). Sie vertritt 132 Reisebüros in der ganzen Schweiz.
Sonja Laborde, présidente de TPA ©màd

Die TPA Travel Professional Association zählt im Tessin 13 Agenturen (wovon 1 Zweigstelle), in der Deutschen Schweiz 28 (wovon 5 Zweigstellen und in der Romandie 91 (wovon 18 Zweigstellen). Nicht alle diese Reisebüros sind im eigenen TPA-Fonds dabei (100 wovon 23 Zweigstellen). Einige sind entweder im Garantiefonds oder bei STS. Die TPA-Mitglieder sind allesamt kleine bis mittlere KMU und durch selbstständige Inhaber geführt.

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Sonja Laborde, in der gegenwärtigen Situation bezeichnen sich Reisebüros oft als «alleingelassen». Teilen Sie diese Meinung?

Voll und ganz. Der Staat unterstützt viele Branchen, auch die Schweizer Tourismusindustrie, allerdings nur den einheimischen Tourismus und in keiner Weise die Outgoing-Branche, die wir vertreten. Die Botschaft ist klar: Schweizerinnen und Schweizer werden gebeten, ihren nächsten Urlaub in der Schweiz zu verbringen, um den heimischen Tourismussektor zu unterstützen.

Wir verstehen das und akzeptieren es, aber gleichzeitig müssen wir Mittel bereitstellen, damit die Reisebüros während dieser Zeit überleben können, in der sie kein Einkommen generieren, ihre Ausgaben aber weiterhin bezahlen müssen.

Darüber hinaus sind fast 88% der unabhängigen Agenturen − von denen 80% von Frauen geführt sind − von der völlig unfairen Entscheidung betroffen, ihnen ihr Recht auf KAE und EO mit Wirkung ab vergangenem Montag zu entziehen, obwohl sie über Jahre hinweg die damit verbundenen Sozialabgaben bezahlt haben. Hier geht es einerseits um die Existenz der Betriebe, vor allem aber auch um jene ihrer Inhaber. Wie sollen denn diese Reisebüros nicht nur die Rückerstattungen an die Kunden laut PRG vornehmen, sondern auch Mieten und sonstige Betriebskosten, aber auch persönliche Unkosten für Miete, Krankenversicherung etc. tragen? Mit dieser Entscheidung treibt der Staat rund 1’300 Personen unserer Branche in den wirtschaftlichen Ruin und nimmt ihnen das Wenige weg, das kaum dem Existenzminimum entspricht! Man kann daher mit Fug und Recht behaupten, dass die Reisebüros alleingelassen werden. Zumindest vorerst.

Wie gehen die TPA-Mitglieder mit der Krise in der Westschweiz und der Deutschschweiz um?

Wie alle Reisebüros in der Schweiz. Allerdings stehen wir täglich in Kontakt mit unseren Mitgliedern und stärken jeder einzelnen unserer Agenturen den Rücken, um sie in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Wir stellen ihnen alle Mittel zur Verfügung, um sie für die Krise zu rüsten und sie über alle Entwicklungen zu informieren – sowohl aus administrativer Sicht als auch aus rechtlicher Sicht. Wir stellen ihnen Musterbriefe und andere Unterlagen zur Verfügung, die ihnen bei der Bewältigung ihrer täglichen Arbeit eine grosse Hilfe sind, da sie diese heranziehen können um sich über ihre Rechte zu informieren und alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, um ihr Überleben zu sichern.

Zu Beginn der Krise haben wir viel Zuversicht und Optimismus festgestellt. Aber um ehrlich zu sein verblasst dieser Optimismus langsam im Laufe der Monate, da es keine klare Perspektive für die Zukunft gibt.

Haben alle ihre Agenturen am 11. Mai wiedereröffnet?

Nicht am 11. Mai. Die überwiegende Mehrheit hat erst Anfang Juni wieder öffnen, aber nicht unbedingt die vollen Öffnungszeiten gewährleistet. Kunden können natürlich Termine vereinbaren werden, es kehren jedoch nicht unbedingt alle Mitarbeitenden sofort in die Agenturen zurück.

Zieht das Geschäft in den Agenturen von TPA wirklich an?

Auf keinen Fall! Gemäss den Richtlinien der Regierungsbehörden ermutigen wir unsere Agenturen, Ziele in der Schweiz anzubieten, und die Agenturen investieren hierzu viel Arbeit, aber wir sind uns bewusst, dass die Realität anders aussehen wird. Der Grossteil der aktuellen Arbeit der Agenturen besteht nur aus Stornierungen und Verschiebungen von Reisen, bringt allerdings keine Einnahmen, sondern führt zu Einnahmeverlusten, da auch die üblichen ohnehin bereits sehr geringen Margen unserer Branche vollständig an die Kunden zurückerstattet werden müssen.

Hoffen wir nur, dass die Agenturen die wenigen Sommerdossiers für Europa retten können. Doch damit werden sie ihre Kosten nicht decken können.

Welche Rolle und Mission haben Sie in der Task Force, die an den Gesprächen mit dem Seco beteiligt ist?

TPA ist stark an der Entwicklung aller notwendigen Dokumente beteiligt, die dem Seco vorgelegt wurden und die alle Details der dramatischen Situation unserer Branche beschreiben. Wir haben einige Vorschläge und kalkulierte Lösungen vorgelegt, die zum Schutz der Reisebürobranche geprüft werden müssen. Daher begrüsse ich besonders die Arbeit, die wir seit Anfang Mai mit den Präsidenten der kantonalen Gruppierungen der Westschweiz leisten konnten. Es war nicht nur anregend, sondern auch sehr produktiv und zeigte vor allem die Stärke, die Gruppenarbeit entwickeln kann.

Ist der Plan, einen ‘A-fonds-perdu’-Fonds in Höhe von CHF 500 Mio. ins Leben zu rufen, um die Risiken von Reisebüros gegenüber Gläubigern abzudecken?

Die Zahlen, zu denen wir gekommen sind, wurden dem Seco und den staatlichen Stellen auf den Tisch gelegt und werden ständig angepasst, um die Richtung für mögliche staatliche Interventionen zu bestimmen.

Ist ein Dialog zwischen Konsumentenschutz Organisationen – die FRC in der Romandie und die SKS in der Deutschschweiz – und Reisebüro-Verbänden wirklich möglich?

Es liegt auf der Hand, dass für den Konsumentenschutz die Rückzahlung von Kundengeldern Priorität hat. Jedes Reisebüro ist gut informiert und weiss, dass es seine Verantwortung ist, unabhängig von den Folgen, das Geld der Kunden zurückzuzahlen. Die Konsumentenschutz Organisationen haben zwar ein gewisses Verständnis für die Probleme, mit denen unsere Branche konfrontiert ist, sehen aber immer  nur den Teil, der sie direkt betrifft. Sie haben sehr wohl erkannt, dass wir nicht die Möglichkeit haben, Geld zurückzuzahlen, über das wir nicht verfügen, vor allem das Geld, das von den Fluggesellschaften geschuldet wird und das sich für die Schweiz auf mehrere hundert Millionen Franken beläuft. Für sie kann es jedoch keinesfalls darum gehen, die Rechte der Verbraucher auszuhöhlen, und sie verlangen daher eine vollständige Rückerstattung des Geldes der Kunden, ganz gleich in welcher Form: Bargeld oder Gutscheine, die der Staat garantiert (oder nicht).

Die Lösung der vom Staat garantierten Gutscheine ist an sich gut. Aber sie hätte von Anfang an umgesetzt werden müssen und sie ist in der Tat nicht konform mit dem Pauschalreisegesetz. Darüber hinaus ist es eine Zwischenlösung, die das Problem der Reisebüros und ihres Überlebens nur auf später verschiebt. Es handelt sich daher um eine wackelige Lösung, die mittelfristig gar nichts löst. Darüber hinaus haben wir bei diesen Organisationen den Eindruck, nicht unbedingt immer auf Gehör zu stossen: Sie berücksichtigen nicht die Arbeit, die von den Agenturen geleistet wurde und die, wie jede Arbeit, fair bezahlt werden muss.

Indem sie die Verbraucher ermutigen, alle ihre Ansprüche geltend zu machen, treiben sie Reisebüros weiter in die Schuldenspirale, von der sich letztlich nur wenige erholen werden. Zur Erinnerung: ein Reisebüro erwirtschaftet in der Regel ein Nettoeinkommen von durchschnittlich 1%. Wie sollen wir mit einer derart „hohen“ Nettomarge nicht nur die Rückzahlung der Kundenguthaben vornehmen, vor allem dann wenn ausländische Dienstleister (Hotels – DMC) oder Fluggesellschaften die Erstattung der Kundengelder verweigern und verzögern, sondern auch die Rückzahlung der Covid-19 Kredite und die Bezahlung der üblichen Personal- und Verwaltungskosten?. Eine unlösbare Rechnung !

Was sagen Sie zur Einstellung von Swiss und Edelweiss zu den Rückerstattungen?

Ich habe dafür nur ein Wort: «skandalös». Das liegt vielleicht sogar an den «Liebesbriefen», die Swiss seit einiger Zeit verschickt. Die Agenturen werden aufgefordert, im Kontext dieser Krise eine Partnerschaft einzugehen. Gleichzeitig hält sie aber weiterhin Rückzahlungen zurück, auch wenn sie dies bestreitet. Mittlerweile hat sie mit der Rückerstattung begonnen.

Aber faktisch belaufen sich diese Rückerstattungen nur auf einen minimalen Prozentsatz dessen was sie den Schweizer Reisebüros schuldet. Wie kann sie übrigens eine Partnerschaft mit Reisebüros fordern, nachdem sie diese Partnerschaft bereits 2005 beendet hat mit der Nullprovision, der Zahlung von Gebühren bei Buchung über GDS und jetzt durch die Einführung der NDC ? Eine echte Partnerschaft wäre es, zumindest zu einer fairen Entlohnung der Arbeit der Reisebüros zurückzukehren!

Ich möchte hinzufügen, dass alle Reisebüros und Verbraucher ein sehr „grosses Verständnis“ für das Madoff-System der Swiss und anderer Fluggesellschaften entwickelt haben. Wir fragen uns nur, wann endlich unsere Behörden sich der Problematik eines Garantiefonds für die Fluggesellschaften annehmen wird.

Sprechen alle bei SRV, TPA und STAR dieselbe Sprache?

Da wir bei TPA die Fähigkeiten haben, uns auf Deutsch auszudrücken, würde ich sagen ja.

Wenn ja, weshalb wurde dann eine Petition wie ‘Mayday’ gestartet?

Wie die Petition sehr deutlich zeigt, fehlt es anscheinend an Kommunikation zwischen den Verbänden und der Basis. Die Reisebüros und Veranstalter sind schwer durch die Lage betroffen und fragen sich eben wie sie sich einbringen könnten. Dementsprechend liegt eine einheitliche Kommunikation auf der Hand. Und wir werden in diesem Sinne weiterarbeiten.

Wie empfinden Sie diese Aktion?

Wir verstehen dies voll und ganz, aber wie wir bereits im TRAVEL INSIDE zum Ausdruck gebracht haben, ist es bedauerlich, dass diese Initiative in einer unkoordinierten Art und Weise durchgeführt wird, anstatt eine geschlossene Front zu präsentieren; was wir auf nationaler Ebene zwischen SRV, STAR, TPA und den kantonalen Verbänden der Romandie tun.

Die drei wichtigsten Organisationen arbeiten nicht nur gemeinsam und konstruktiv für die ganze Branche. Es werden vor allem auch die Interessen richtig verstanden und verteidigt. Das Einzige, was ich den Initiatoren dieser Petition und allen Mitunterzeichnern sagen kann: Geduld und Vertrauen. Und in der Zwischenzeit, nutzen Sie die Werkzeuge, die bereits zur Verfügung stehen. Nehmen Sie den maximalen Covid-19-Kredit auf und nutzen Sie die KAE für Ihre Mitarbeitenden voll aus. Die anderen Lösungen werden zu gegebener Zeit kommen. Und genau in diesem Sinne wurde der «Rechtsstillstand» eingerichtet. Um jedem Zeit zu geben. Unseren Bundesbehörden und uns.

Weshalb ist unter den Initianten von ‘Mayday’ keine unabhängige Agentur aus der Westschweiz dabei?

Vermutlich, weil dieser Mangel an Kommunikation weniger auf Ebene der Westschweiz zu spüren war. Unsere Agenturen haben es jedenfalls nicht gespürt, im Gegenteil. Wie wir bereits erwähnt haben, wurden alle Informationen, die nicht vertraulich behandelt werden sollten, sofort an alle unsere Mitglieder weitergeleitet. Die Newsletter folgten im Rhythmus 2 bis 3 Mal oder pro Woche. Und natürlich machen wir weiter. Wir organisierten auch wöchentliche Video-Konferenzen und arbeiteten dafür jeden Tag der Woche, auch an Wochenenden, um die Informationen immer aktuell zu halten.

Darüberhinaus hat der TPA-Ausschuss, der seit Beginn der Krise praktisch einmal pro Woche zusammengetreten ist, auf seiner letzten Sitzung beschlossen, mit allen, die dies wünschen, die Informationen und logistische Unterstützung zu teilen, die wir unseren Mitgliedern anbieten. In diesen Krisenzeiten ist es wichtig, Solidarität zu zeigen. Wir evaluieren derzeit den besten Broadcast-Kanal. Vielleicht ist es ‘Mayday’.

Befürchten Sie insgesamt das Verschwinden einer Reihe von Reisebüros und TO als Folge der Coronavirus-Krise?

Leider lautet die Antwort ja. Und was traurig ist, ist, dass die meisten Agenturen, die schliessen werden, vor der Krise gesunde Agenturen waren.

Wenn ja, wie viele werden betroffen sein?

Rund 30% der Agenturen. Dies wird nicht sofort geschehen, sondern auf längere Sicht, irgendwann im Jahr 2021. Aber − und das haben wir unseren Mitgliedern Anfang April deutlich zum Ausdruck gebracht − «Eine Agentur zu schliessen, bevor die Situation unüberschaubar wird, ist kein Zeichen von Unfähigkeit, im Gegenteil.» Wir wissen, dass einem Reisebürobesitzer, der sein Lebenswerk aufgibt, die Entlassung seiner Mitarbeitenden letztlich das Herz bricht und viele Fragen aufwirft, und TPA wird seine Mitglieder begleiten, die sich möglicherweise einer solchen Situation stellen müssen.

(Interview: Dominique Sudan)