Der Tourismus, eine Branche im Fokus der Klimadebatte, tut sich schwer. Er lässt sich von Einzelinitiativen blenden und vergisst, dass nur ein gemeinsames, vernetztes Vorgehen für Nachhaltigkeit sorgt. Erkenntnisse aus der DGT-Jahrestagung.
Ferien, Reisen gehören zu den schönsten Tagen im Jahr. Und die wollen wir uns nicht durch Vorgaben vergraulen lassen. Indiz für dieses Verhalten sind z.B. die wenigen Flugpassagiere, die ihre CO2-Emissionen kompensieren. Bescheidene 5 Prozent! Oder der laufende Reset der Tourismusbranche nach der Coronapandemie. Der Tourismus erholt sich rascher als angenommen. Der Nachholbedarf an Reisen zählt offenbar mehr als das Klimagewissen.
«MICE-tip»-Reporter Roland Beer berichtet über die DGT-Tagung in Kooperation mit der Uni Bern. Thema der Tagung: Tourismus und grüne Transformation – Aspekte eines Tourismus im Wandel der Klimaneutralität.
Den Auftakt zur 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) in Bern bestritt der Klimaforscher Prof. Thomas Stocker. Er wies einmal mehr auf die Entwicklungen des Wintertourismus hin – die Verschiebung der Nullgradgrenze und die Feststellung, dass die Wintersaison pro Dekade um eine Woche kürzer ausfällt.
In der Diskussion vertrat er den Standpunkt, dass eigentlich «kein Recht auf Reisen besteht» (Achtung Massentourismus!) und der Klimaschutz auch für den Tourismus einen ökonomischen Imperativ beinhaltet (transparente Kosten).
Der Tourismus in der Pflicht
Aber wie stark befassen sich Politik und die Direktbetroffenen mit dem Thema Tourismus und Klimaschutz? Wenig und wenn, dann mit Ausnahme der Problematik der Energiewende ohne handfeste Leitlinien. Das Pariser Klimaschutzabkommen aus dem Jahr 2015 und der Green Deal der EU-Kommission liefern nur grobe Eckdaten. Das überrascht und dokumentiert eine gewisse Ohnmacht vor nachhaltigen Lösungen.
Die CO2-Emissionen der Branche betragen 8 bis 10 Prozent und der Tourismus ist immerhin Europas drittgrösster Wirtschaftszweig. Fakten, die eigentlich den Druck auf Lösungen erhöhen? In der Diskussion Freiwilligkeit und Eigeninitiativen kontra Regulierungen geben sich Direktbetroffene denn auch überzeugt, bei diesen Dimensionen lasse sich das Problem ohne Beschränkungen nicht lösen. Also wartet ein Grossteil der ‘Branche’ mal vorab ab.
Ökomodelle mit low scale Effekt
In der Folge wurden an der Tagung zahlreiche Beispiele von klimaschonenden Projekten und Modellen präsentiert, aber auch verschiedene Hilfsmittel für die Berechnung der CO2-Emissionen. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Die Entwicklung hat nicht einmal das Stadium der Pionierphase erreicht.
Klimaschonende Touristikangebote gibt es nur wenige und wenn, dann im low scale Bereich. Zum Beispiel Entschleunigungsprogramme in Ökohotels oder die Kompensation des Fussabdrucks mittels Klimafonds wie in Arosa.
Das heisst, so begrüssenswert die Bemühungen auch sind, ihr klimaschonender Effekt ist quasi unbedeutend. Zu kraftlos, um eine Hebelwirkung auszulösen. Aber ja – die starke Verbreitung solcher Mikro-Lösungen macht auch Sinn. Sie bilden zumindest einen Anfang und sensibilisieren die Touristen.
Bemerkenswert übrigens auch die Grundsatzfrage, wer letztendlich für Emissionen aufkommen soll? The polluter pays (also der Gast) oder the beneficiary pays (die Destination)? Vermutlich werden sich mal beide daran beteiligen müssen.
Die Hilfsmittel zur Berechnung der Emissionen sind auch noch sehr rudimentär. Vor allem, wenn sie sämtliche Aktivitäten eines Ferienaufenthalts umfassen sollen. Es gibt keine standardisierten Verfahren und demnach auch noch keine Standardwerte. Ausgenommen die Daten über die Mobilität, z.B. die Anreise per Auto, Flug oder Zug. Dazu existieren bereits Datenquellen.
Der Ansatz, mit einem Fragebogen die Aktivitäten in der Destination detailliert aufzuzeichnen verspricht wenig Erfolg. Die Beispiele ‘erster’ Erfassungslisten erschlagen den Gast. Muss ich künftig jeweils abends vor dem Apéro dreissig Minuten lang den Tag in Zahlen festhalten müssen? Und für die Vollständigkeit meines Fussabdrucks sind schliesslich auch noch die Emissionen aller involvierten Touristikakteure hinzuzufügen.
Die Lösung wird vermutlich auf der Definition von Standardwerten beruhen. Im Sinne von Approximativwerten – aller wissenschaftlichen Bemühungen zum Trotz. Und es liegt ja wohl auf der Hand, dass eine Bergdestination die Aufgabe leichter lösen kann als eine brummende Meerdestination? Allein das Profil der Gäste ist dabei diametral anders, die Bergtouris sind klimaaffiner.
Treffend die Bemerkung in der Diskussion: Die Emissionsbilanz eines Gastes fällt in den Ferien oft deutlich geringer aus als jene zuhause!
Provokativ die These aus den Erläuterungen von Benedikt Weibel, ex-CEO der SBB: «Die Schweiz muss die Verkehrsinfrastruktur nicht weiter ausbauen. Im Gegenteil, sie muss sie dank digitaler Steuersysteme und organisatorischer Massnahmen besser nutzen».
Erste Ansätze von Reiseveranstaltern?
Am Schlusstag äusserten sich drei Vertreter*innen zur Frage der Klimaneutralität der Reiseveranstalter. Mit ‘drei’ sei auf ein Problem der Tagung hingewiesen: es nahmen quasi keine Fachleute von Reiseorganisationen, Destinationen und keine Entscheidungsträger aus Politik und Verbänden teil. Das liegt wohl auch daran, dass die Thematik trotz aller Dringlichkeit noch wenig Lösungsansätze aufzuzeigen hat?
Kontiki, Studiosus Reisen München und die Projekt- und Netzwerkentwickler Futouris Hamburg sind im Segment hoch-preisiger, nachhaltiger Reisen tätig. Ein Nischenmarkt für eine einkommensstarke Zielgruppe, die bereits schon sehr klimasensibel eingestellt ist. Studiosus hat während der Pandemie entschieden, die CO2-Kompensation voll einzupreisen. Erste Erfahrungen fehlen noch.
Futouris hat ein Beratungstool mit standardisierten Werten (Vollerfassung!) entwickelt. Die Kompensation ist noch freiwillig. Erste Erfahrungen fehlen noch, machen die Reisebüros bei diesem erhöhten Beratungsaufwand überhaupt mit? Wie sieht es bei den Online-Lösungen aus? Aber eben, beides sind Nischenanbieter mit Lösungen, die schwierig zu skalieren sind.
Die Skalierung der Kompensation ist auch bei den Airlines strittig. Eine Treiberin in Sachen CO2-Ausstoss. Es braucht einen Konsens unter den Airlines. Eine preissensitive Branche, in der Alleingänge mit Vorschriftscharakter umgehend Wettbewerbsnachteile zur Folge haben. Erst recht für Low-cost Carriers. Das politische Hin und Her der Flugticketabgabe in der Schweiz zeugt von der mangelnden Akzeptanz, ebenso die erwähnte tiefe Quote von 5% von Flugpassagieren, die den Flug ‘kompensieren’.
Fazit der Tagung
Höchste Priorität kommt der Energiewende, der Dekarbonisierung zu. Die Mobilität, wir wissen es ja, muss nachhaltiger werden. Sie besitzt eine grundlegende Hebelwirkung.
Es braucht vernetzte, breit gefächerte Massnahmenkonzepte. Die Einzelinitiativen, die aktuell als vorbildlich herumgereicht werden, haben ‘null’ Wirkung auf die Klimabilanz.
Kostenwahrheit, Transparenz und eine glaubwürdige Kommunikation müssen die Reisenden und Gäste sensibilisieren.
Die Bekämpfung des Klimawandels wird nicht ohne einschränkende Regulierungen möglich sein. Die Politik wird das Zepter übernehmen. Gut also, wenn sich Industriezweige – und besonders auch der Tourismus – dem Problem jetzt ernsthaft annehmen.
Im übrigen hat die Tagung einen Fussabdruck von 24‘000 t CO2 hinterlassen…
Roland Beer, Bern
DGT – Deutsche Gesellschaft für Tourismuswissenschaft
Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft DGT sind Forschungsinstitute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die DGT versteht sich als Kompetenznetzwerk für Wirtschaft und Tourismus.
Die 25. Jahrestagung fand in Bern statt (8. bis 10. Dezember 2022). Das Thema war Tourismus und Nachhaltigkeit. Dr. Monika Bandi Tanner, Leiterin CRED/Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern, ist Vorstandsmitglied in der DGT. www.dgt.de