«Alles dreht sich um ‘grünen’ Strom und eine weltweite Verteilungsinfrastruktur»

Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist durchaus machbar, sagt Dirk Bergmann, Chief Technology Officer von Accelleron. Wenn da nicht ein, zwei «aber» wären…
Hier spielt die Musik: Maschinenraum der Harmony of the Seas von RCI. ©RCI

Accelleron Industries AG ist ein in Baden beheimateter Hersteller von Aufladesystemen (Turboladern) für Diesel- und Gasmotoren und arbeitet auch eng mit Reedereien und Werften zusammen.

Das Unternehmen entstand 2022 aus der Abspaltung aus dem ABB-Konzern und ist an der Schweizer Börse kotiert. Es ist weltweit an rund 100 Standorten tätig und beschäftig ca. 2500 Mitarbeitende in 50 Ländern.

Beat Eichenberger hat Dirk Bergmann, Chief Technology Officer von Accelleron, befragt.


Dirk Bergmann, CTO Accelleron ©Accelleron

Dirk Bergmann, immer mehr neue Kreuzfahrtschiffe nutzen heute Flüssigerdgas, LNG gilt als Übergangslösung auf dem Weg der Dekarbonisierung – wie schätzen Sie LNG ein?

Wenn wir als Gesellschaft den Klimaschutz vorantreiben wollen, dann müssen wir alles tun, was überhaupt machbar ist. Da hilft in der Schifffahrt auch LNG, weil es Schweröl ersetzt. Aber es gibt nicht nur eine Lösung auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft und man darf nicht eine Technologie gegen die andere ausspielen.

Und noch etwas anderes spielt eine wichtige Rolle, wenn wir an künftige neue Entwicklungen denken: Infrastruktur schlägt Effizienz. Auch der beste neue Kraftstoff wird den Durchbruch nicht schaffen, wenn die Verteilungsinfrastruktur fehlt.

Dabei geht es um neue synthetische Treibstoffe, respektive E-Fuels, die im Gegensatz zu LNG keine CO2-Emissionen zur Folge haben.  

Übergeordnet gesprochen geht es hier um den Begriff Power-to-X und damit um Technologien, die regenerativ erzeugten Strom in eine andere Form von speicherbarer Energie umwandeln. Bei E-Fuels handelt es sich um Treibstoffe auf Basis von Wasserstoff, der über eine Elektrolyse mit erneuerbaren Energien aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt wird.

Die Herstellung von Wasserstoff, etwa aus Erdgas, ist relativ einfach und eine gängige Methode, doch für klimaneutralen Wasserstoff muss die Herstellung zwingend über den regenerativen Pfad der Elektrolyse erfolgen – das ist die Herausforderung. Wasserstoff, der auf diesem Wege gewonnen wird, ist dann die Basis für CO2-freie, respektive CO2-neutrale Treibstoffe wie E-Ammoniak oder E-Methanol.

Kann nicht auch reiner Wasserstoff als Schiffstreibstoff genutzt werden?

Grundsätzlich stellt sich die Frage: Welche Energiedichte ist für den Betrieb eines Schiffes gefordert? Wasserstoff mit unterschiedlicher Energiedichte kann auf verschiedene Art hergestellt werden. Dabei gilt: Je höher der Druck, desto mehr Energie liefert das gleiche Volumen.

Es geht also um die Steigerung der Energiedichte bis zur Verflüssigung, die bei Wasserstoff erst bei minus 260 Grad erfolgt. Das ist kein einfacher Vorgang und verlangt etwa voluminösere Tanks.

Werden nur kurze Strecken gefahren, kann auch gasförmiger Wasserstoff zum Einsatz kommen, aber das bedingt ein ständiges Nachtanken. Etwa Pendelfähren nutzen diese Möglichkeit bereits vereinzelt, bei grösseren Schiffen auf längeren Fahrten ist der Betrieb mit Wasserstoff aber kaum ein Thema und würde auch ein breites Netz verfügbarer Kraftstoff-Hubs verlangen.

Nun können aus Wasserstoff aber andere CO2-freie, respektive CO2-neutrale Treibstoffe abgeleitet werden – welche stehen da im Vordergrund?

In der Fracht-Schifffahrt wird heute bereits Ammoniak transportiert, eine längst weit verbreitete Chemikalie, die etwa für die Düngerindustrie eine grosse Rolle spielt. Für die Passagier-Schifffahrt hat Ammoniak aber im Falle eines Lecks oder bei Austritten beim Bunkern einige gewichtige Nachteile: Es riecht sehr unangenehm, ist ätzend und in grösseren Mengen giftig.

Bei der konventionellen Herstellung aus Erdgas wird zudem CO2-freigesetzt, deshalb muss mit Blick auf die Dekarbonisierung auch hier die Anforderung einer «grünen» Herstellung gelten.

Immer mehr Reedereien rüsten nun ihre neuen Schiffe auf eine künftige Nutzung von E-Methanol als Haupttreibstoff aus.

Die Container-Reederei Maersk hat bereits Schiffe im Einsatz, die mit Methanol zwischen Asien und Europa verkehren. Dieser Treibstoff hat aus meiner Sicht tatsächlich das grössere Potential als Wasserstoff oder Ammoniak, sofern er nicht fossilen Ursprungs ist, sondern synthetisch aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird.

Methanol kann relativ einfach erzeugt werden, wird bei geringem Druck flüssig, ist gut tank- und lagerbar sowie biologisch abbaubar, erzeugt also bei einer Leckage keine Umweltschäden. Andererseits ist Methanol brennbar, allerdings ohne sichtbare Flammen, und erzeugt pro Liter etwas weniger Energie als etwa Schweröl, bedingt deshalb öfters Nachtanken.

Und weshalb fahren heute nicht schon mehr Schiffe mit E-Methanol?

Auch hier geht es um die Frage: Wo kommt der «grüne» Strom für die Elektrolyse her, welche die benötigte Basis Wasserstoff liefert?

Das ist der Kernpunkt. Grüner Wasserstoff wird heute weltweit und überall nachgefragt: Von der Zementindustrie, der Stahlindustrie, der Düngerindustrie, dem Strassenverkehr, dem Luftverkehr – und eben auch von der Schifffahrt. E-Methanol steht noch längst nicht in genügender Menge und preislich kompetitiv zur Verfügung.

Da müsste doch bei vielen Unternehmen weltweit eine echte Goldgräberstimmung aufkommen?

Ich bin kein Politiker, meine aber, dass fossiles CO2 ein Preisschild erhalten muss. Denn was passiert, wenn E-Fuels in zehn, zwanzig Jahren den Schweröl-Verbrauch massiv zurückdrängen?

Der Marktmechanismus ist klar: Der Preis für Schweröl sinkt und hebelt die angestrebte klimarelevante Wirkung aus. Die Erzeugung von fossilem CO2 muss einen Preis erhalten, damit die nachhaltigen Treibstoffe preislich mithalten können in diesem Wettbewerb. Kurz: Es ist vieles machbar, aber es gibt in der ganzen Entwicklung auch die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Seite. Und nochmals: Es geht ebenso um den Aufbau einer Verteilungsinfrastruktur: Die neuen Treibstoffe müssen weltweit gebunkert werden können.

Wie aufwendig ist die Anpassung der Schiffsmotoren für den Einsatz neuer synthetischer Treibstoffe?

Das hängt davon ab, welcher Treibstoff genutzt wird. Methanol ist wohl am einfachsten, weil es ähnliche Voraussetzungen wie Diesel oder LNG mit sich bringt. Anpassungen oder die Weiterentwicklung der Motoren sind aber keine exorbitanten Herausforderungen, die die Industrie nicht lösen könnte.

So kann man etwa auch davon ausgehen, dass bis 2030 das Problem des Methan Schlupfs bei LNG vom Tisch ist. Teurer und komplexer sind aber je nachdem die Tanksysteme, die zum Beispiel druckresistenter gebaut werden müssen.

Eine weitere Energiequelle ist die Wasserstoff-gespiesene Brennstoffzelle, die bereits da und dort im Testbetrieb ist. Was ist davon zu halten?

Herkömmliche Brennstoffzellen sind sehr anfällig auf Verschmutzung und erfordern 99,9 Prozent reinen Wasserstoff, sonst werden sie beschädigt. Anders die neuen Hochtemperatur-Brennstoffzellen, die den Vorteil haben, dass auch Träger wie Methanol oder Erdgas eingesetzt werden können, die in einem vorgelagerten Reformer in Wasserstoff umgewandelt werden.

Brennstoffzellen werden auch in der Schifffahrt eine zunehmend ergänzende Rolle spielen und ich gehe ebenso davon aus, dass künftig Batterien die überschüssige Energie aus Brennstoffzellen zwischenspeichern, um diese zu einem anderen Zeitpunkt nutzbar zu machen.

Aber sind Batterien, respektive Akkus, nicht schlichtweg zu voluminös und zu schwer, um eine wesentliche Rolle zu spielen?

Für ein grosses Containerschiff brauchen wir etwa 40 Gigawattstunden, um von Hongkong nach Rotterdam zu kommen. Deshalb ja: Stellt man sich das dafür benötigte Batteriepacket vor, hätte kein Container mehr Platz auf dem Schiff. Alles dreht sich um die geforderte Energiedichte, die man voraussichtlich nur in flüssiger Form etwa mit Methanol oder Ammoniak hinkriegt.

Noch das Stichwort Bio-Kraftstoff: Welchen Stellenwert hat diese Alternative?

Es ist realistischerweise nicht anzunehmen, dass mit Bio-Kraftstoffen dereinst eine klimaneutrale Schifffahrt erzielt werden kann. Es gibt dazu längst nicht genügend Rohstoffe, und ob sich dies einmal wesentlich ändert, wenn man zum Beispiel in Afrika grosse Elefantengras-Farmen aufzieht, ist höchst unwahrscheinlich.

Es gibt aber Reedereien, die bereits heute biogene Kraftstoffe als Drop-in-Treibstoff verwenden, und das ist auch richtig so. Wie eingangs erwähnt: Man muss in alle Entwicklungen investieren, die heute eine Perspektive auf dem Weg der Dekarbonisierung darstellen. Über die Jahre wird sich dann herausstellen, welche Lösungen am wirtschaftlichsten, respektive am effektivsten sind.

Interview: Beat Eichenberger