«Barcelona und Rom zuoberst auf der Wunschliste»

Mit der Betriebsstabilität auf der Strecke nach München sind wir nach wie vor unzufrieden, gibt der Leiter Internationaler Personenverkehr der SBB zu.
Das internationale Tages- und Nachtzugnetz der SBB ab Dezember 2022 ©SBB
Philipp Mäder, Leiter Internationaler Personenverkehr SBB. ©SBB

Philipp Mäder, Leiter internationaler Personenverkehr SBB, erklärt im Interview mit TRAVEL INSIDE wie sich das Sommergeschäft bei den internationalen Bahnreisen entwickelt hat.

Und er äussert sich auch über die Problematik der Zug-Verbindung nach München, das aktuell feststellbare Bedürfnis nach mehr Nachtzügen und welche neuen Verbindungen kommen bzw. auf der Wunschliste stehen.


Philipp Mäder, wie lief das Sommergeschäft der SBB?

Die Nachfrage im internationalen Personenverkehr war in diesem Sommer sehr erfreulich. Bei den Verbindungen nach Deutschland, Österreich und Italien, bei Interrail sowie den Nachtzügen lag die Nachfrage über 2019, was bereits ein Rekordjahr im internationalen Personenverkehr war.

Bei den Verbindungen nach Frankreich erreichten wir die guten Werte von 2019. Die hohe Sommernachfrage hilft, den Pandemie-bedingt schwachen Start ins 2022 und die teilweise noch fehlenden Gäste aus Übersee zu kompensieren.

Aktuell wird gross die Strecke nach München beworben. Wie zufrieden sind Sie mit den Passagierzahlen auf der Strecke?

Astoro ETR 610 am Zürich Hauptbahnhof nach der Ankunft aus München ©SBB

Die Nachfrage ist sehr hoch, was uns natürlich freut. Wir empfehlen deshalb auf dieser Strecke den Reisenden eine Reservation. Wir stellen fest, dass vor allem an Wochenenden (freitags und sonntags) die Auslastung besonders hoch ist.

Deshalb prüfen wir zusammen mit den Partnerbahnen ein zusätzliches Zugpaar jeweils am Freitagnachmittag von Zürich nach München und am Sonntagvormittag von München nach Zürich für den Zeitraum zwischen April und Oktober 2023.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Betrieb der Strecke nach München? Man hört von verschiedenen Baustellen, die den Betrieb erschweren bzw. Verspätungen verursachen.

Mit der Betriebsstabilität sind wir nach wie vor nicht zufrieden. Zu viele Züge erreichen ihr Ziel mit mehr als fünf Minuten Verspätung. Die Gründe sind u.a. Baustellen, aber auch technische Probleme. Zudem macht die Infrastruktur mit vielen Einspurstrecken insbesondere in Deutschland den Betrieb sehr anspruchsvoll. Wir sind mit unseren Partnerbahnen DB und ÖBB dazu in engem Austausch. In Deutschland arbeitet man intensiv an Lösungen, um den Verkehr nachhaltig zu stabilisieren.

Welche Neuerungen im grenzüberscheitenden Verkehr stehen aktuell für den Fahrplanwechsel Ende 2022 zur Debatte?

Im Dezember 2022 werden wir das Nachtzugangebot nach Hamburg und Berlin erweitern und ein neues Nachtzugangebot über Leipzig und Dresden bis nach Prag in Betrieb nehmen. Zudem wird auf der Strecke Zürich–Stuttgart ab Dezember im Tagesverkehr schrittweise neues Rollmaterial eingeführt und dadurch kann ab Fahrplanwechsel eine zusätzliche Direktverbindung angeboten werden.

Ab November 2023 wird das neue Rollmaterial auf allen Verbindungen nach Stuttgart eingesetzt. Dadurch werden die Direktverbindungen von heute 7 auf 13 Zugpaare nochmals deutlich ausgebaut. Die ICE Linie Basel–Frankfurt Flughafen–Köln wird ab Fahrplanwechsel 2022 via Münster–Bremen nach Hamburg verlängert. Dadurch entstehen fünf zusätzliche Direktverbindungen Basel–Nordrhein Westfalen/Münster/Bremen.

Sind weitere Partnerschaften mit den Tourismusorganisationen der Nachbarländer geplant?

In der Vergangenheit hat die SBB mit verschiedenen Tourismusorganisationen der Nachbarländer sowie einzelnen Regionen und Städten erfolgreich zusammengearbeitet. Auch in Zukunft werden wir auf diese wertvollen Partnerschaften setzen, um Kundinnen und Kunden auf die nachhaltige und bequeme Art des Reisens im Zug aufmerksam zu machen und für Zugreisen zu inspirieren.

Nachtzüge sind in aller Munde, aber gewinnbringend können diese nicht betrieben werden. Ist es sinnvoll, nur um der Nachhaltigkeit willen und aus ökologie-politischen Gründen, unrentable Nachtzug-Verbindungen anzubieten?

In den Deluxe-Abteilen des Nightjet reist man komfortabel ©OEBB

Das Reisen mit dem Zug trifft den Nerv der Zeit. Mit der erhöhten Sensibilität für eine nachhaltige Lebensweise ist auch die Nachfrage nach internationalen Reisen mit der Bahn gestiegen.

Auch die Nachtzüge erfreuen sich ständig wachsender Beliebtheit. Der Nachtzug ist ein attraktives Ergänzungsangebot zu den internationalen Tagesverbindungen. Viele Kundinnen und Kunden kombinieren eine Reise – z.B. die Hinreise mit dem Nachtzug und die Rückreise mit dem Tageszug. Deshalb möchten wir und unsere Partnerbahnen das Nachtzugangebot für unsere Kundinnen und Kunden weiter ausbauen.

Neue Nachtzüge insbesondere nach Rom und Barcelona stehen aktuell aber unter Vorbehalt einer Finanzierungslösung. Die SBB begrüsst deshalb die rasche Vorbereitung einer neuen Vorlage zum CO2-Gesetz durch den Bundesrat und die damit verbundene Möglichkeit zur Förderung des grenzüberschreitenden Personenfernverkehrs, einschliesslich der Nachtzüge.

Eine Suche nach Nachtzug-Angeboten Zürich HB-Hamburg Hbf am 24.8. und 31.8. und zurück jeweils 1 Woche später ergab keine Resultate bzw. ‘die gewünschte Platzkategorie ist nicht verfügbar’. Sind die Züge tatsächlich ausgebucht oder spielte die Buchungsmaschine nicht mit?

An diesen beiden Daten waren diese Nachtzüge in den Schlaf- und Liegewagen tatsächlich bereits ausgebucht. Generell sind die Nachtzüge bei sehr gefragten Destinationen an stark frequentierten Wochenenden in der Hauptreisezeit gut gebucht. Dies zeigt, wie beliebt die Nachtzüge sind. Die SBB empfiehlt, wenn möglich früh – bereits sechs Monate im Voraus – zu buchen und nach Möglichkeit den Reisetag auf Wochentage (Montag bis Mittwoch) zu legen.

Gibt es bald eine Möglichkeit, ohne in Mailand umzusteigen, auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke weiter nach Florenz und Rom zu reisen?

Derzeit gibt es keine Direktzüge zwischen der Schweiz und Florenz/Rom. Dank den vielen Zügen nach Milano Centrale können diese beiden Destinationen jedoch regelmässig mittels Umstieg auf Frecciarossa in Mailand in sehr attraktiven Fahrzeiten erreicht werden. Direktverbindungen ab der Schweiz bieten wir derzeit nach Verona–Venedig, Parma–Bologna sowie Genua an. Ob und wann es zusätzliche Direktverbindungen zu weiteren Destinationen geben wird, ist aktuell offen.

Welche weiteren ausländischen Städte wünscht sich die SBB in Zukunft mit Direktverbindungen zu bedienen?

Bei den Nachtzügen stehen sicher Barcelona und Rom weit oben auf unserer Wunschliste. Im Tagesverkehr planen wir, das Angebot über Basel nach Deutschland ab 2026 markant auszubauen und damit neue Direktverbindungen aus den Schweizer Tourismusregionen zu unseren nördlichen Nachbarn zu schaffen. Selbstverständlich machen wir uns laufend Gedanken zur Verbesserung des internationalen Angebots, so wären beispielsweise weitere Destinationen in Italien spannend für uns.

Was wünscht sich die SBB von den Reisebüros und Reiseveranstaltern?

Es gibt viele gute Gründe mit dem Zug zu reisen: Zugfahren ist nicht nur nachhaltiger als das Fliegen, man kommt auch direkt im Stadtzentrum an, reist bequem ohne Check-in und lange Warteschlangen und hat keine Gewichtsbeschränkung beim Gepäck. Mit einer Fahrt im Nachtzug spart man sogar noch eine oder zwei Nächte im Hotel.

Ausserdem ist das Zugfahren selbst – besonders mit Interrail oder in Nachtzügen – ein Erlebnis und ein wichtiger Teil des Reiseerlebnis. Wir freuen uns natürlich, wenn Reisebüros und Reiseveranstalter dieses Potenzial erkennen und die Kundinnen und Kunden entsprechend beraten.

Interview: Luisa Schmidt/Hans-Peter Brasser