«Die Geschäftsleitung muss das Geschäftsreisereglement vorleben»

Jon Andrea Florin von Fair unterwegs über die Studie «Wie fair sind Geschäftsreisen?».
Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter Fair unterwegs. ©Fair unterwegs

Die Organisation Fair unterwegs, die sich für nachhaltigen Tourismus einsetzt, liess bei der Hochschule Luzern eine Studie zur Frage erstellen: Wie steht es um Menschenrechte und Klimaschutz bei Geschäftsreisen von Schweizer Unternehmen? Die Ergebnisse der Studie sind überraschend. Und was sagt der Auftraggeber zum Resultat? Fair unterwegs-Geschäftsführer Jon Andrea Florin beantwortet die Fragen von Business Traveltip.

Weshalb haben Sie diese Studie machen lassen?

Auf Geschäftsreisen werden grob geschätzt acht bis zehn Prozent der Treibhausgase der Schweiz ausgestossen. Das ist fast die gleiche Menge wie in der Landwirtschaft. Und mit Geschäftsreisen wird – wiederum grob geschätzt – rund eine Milliarde Franken ins Ausland gebracht. Wir wollten wissen, ob sich die Unternehmen der gesellschaftlichen Bedeutung der Geschäftsreisen bewusst sind. Und wenn ja, welche konkreten Massnahmen sie ergreifen. Weiter interessierte uns, welchen Stellenwert Überlegungen zu Menschenrechten bei Geschäftsreisen haben.

Was hat Sie an den Resultaten am meisten überrascht?

Erstaunlicherweise finden 80 Prozent der Befragten Loyalitätsprogramme als (eher) unwichtig. Auch erfreulich ist, dass bei nahezu der Hälfte der Befragten Daten wie die Aufenthaltsdauer, Anzahl der Reisen und CO2-Emissionen ihrer Geschäftsreisen erfasst werden. Nicht erstaunt, aber auch nicht erfreut hat mich, dass sich die Geschäftsreisereglemente derzeit vor allem aufs Klima beziehen, während andere Bereiche wie Menschenrechte und Tierschutz kaum Beachtung finden. Entsprechend erachtet die Mehrheit der Befragten Nachhaltigkeitszertifikate als (eher) unwichtig. Das ist, sagen wir mal: schade.

Wo sehen Sie die grössten Abweichungen und Unterschiede zu den diversen Branchenstudien der letzten Monate?

Die Studien lassen sich nur schlecht vergleichen. Wir haben andere Items abgefragt. Dabei kommen wir nicht auf Zustimmungsraten von achtzig oder gar neunzig Prozent.

Wie interpretieren Sie diese Unterschiede?

Vorab muss man sagen, unsere Umfrage war nicht repräsentativ. Allerdings dürfte es anspruchsvoll sein, eine Repräsentativität hinzukriegen, denn die Grundgesamtheit ist heterogen: Staatsbetriebe handeln anders als KMU, Banken anders als Maschinenbauunternehmen.

Die andern haben mehr und andere Leute gefragt. Bei uns waren einige dabei, die für die Unternehmensverantwortung zuständig sind. Die sehen die Sache naturgemäss kritischer als die Geschäftsreiseverantwortlichen. Und: Wir haben nicht nach den Absichten gefragt, sondern nach den konkreten Massnahmen. Die beliebte Frage: «Wollen Sie die nächste Geschäftsreise nachhaltiger ausgestalten», ist für mich etwa gleich aussagekräftig wie die Frage: «Möchten Sie abnehmen?». Klar doch!

Was ist für Sie eine faire Geschäftsreise?

Ich sehe drei Levels: Bronze gibts für Klimaschutz, also wenn man sich ernsthaft überlegt, ob eine Geschäftsreise tatsächlich die durchgeführt werden muss und dann mit Bahn und Bus statt mit Flug und Auto reist. Silber erhalten alle, die auch Menschenrechtsaspekte beachten, also in nachhaltigkeitszertifizierten Häusern absteigen, eine Antikorruptionsrichtline haben und systematisch über Massnahmen und Verstösse Bericht erstatten. Gold bekommen die mit dem umfassenden und motivierenden Geschäftsreisereglement – wenn sie dieses auch leben. Ein Riesenbravo gibt es etwa, wenn die homosexuelle Teamleiterin auch in einem patriarchalen Land das Team gegenüber den Geschäftspartnern leitet.

Wer den Goldkurs einschlagen will, findet auf fairegeschaeftsreisen.org die Trainingsanleitung.

Wo müssten die Unternehmen jetzt ansetzen?

Zuoberst. Bei einem ambitiösen Geschäftsreisereglement, das eben auch die Einhaltung und Förderung der Menschenrechte umfasst und das den Mitarbeitenden konkrete Instrumente in die Hand gibt: Vom CO2-Budget über die im Buchungssystem präferierten zertifizierten Hotels bis hin zur Chancengleichheit bei der Zusammensetzung des Reiseteams und Training der Reisenden in interkultureller Kommunikation. Entscheidend ist, dass die Geschäftsleitung das Reglement vorlebt. Gemäss unserer Studie engagiert sich nur ein Drittel der Führungskräfte stark oder sehr stark.

Gibt es verlässliche Standards, die zB die Menschenrechtssituation so bewerten, dass daraus Regeln in Reiserichtlinien abgeleitet werden können?

Zertifizierungsorganisationen wie Green Destinations, Travellife oder Tour Cert haben diese. Tools zur Risikoabschätzung findet man beim Roundtable Human Rights in Tourism www.humanrights-in-tourism.net/get-started, etwa eine Einschätzung der Menschrechtslage von über 30 Ländern.

Mit welchen messbaren und überprüfbaren Parametern formulieren Sie moralisch-ethische Reiserichtlinien, analog zu den quantitativen Klimaschutzrichtlinien in Travel Policies?

Messbar ist schwierig, überprüfbar geht schon besser. Man kann checken, welche Massnahmen ergriffen werden und abfragen, was tatsächlich gemacht wurde.

Kann es faire Geschäftsreisen geben in Länder mit Menschrechtsverletzungen, oder müsste nicht die ganze Geschäftstätigkeit mit diesen Ländern eingestellt werden?

Nein, das wäre keine Lösung. Viel mehr bringt es, mit demokratie- und menschenrechtsfreundlichen Unternehmen und Organisationen zusammenzuarbeiten und sie dadurch zu stärken.

Oder reicht es, wenn die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind in einem Hotel in einer Diktatur?

Das ist schon mal viel. Ich habe nicht die Erwartung an Unternehmen, dass sie Diktaturen stürzen. Aber sie sollten sich dort einsetzen, wo sie etwas bewirken können. Zum Beispiel nicht in Hotels übernachten, die der Junta gehören.

Interview: Christian Maurer

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