Abenteuer Ganges: Protokoll einer aussergewöhnlichen Reise (Teil 1)

TI-Kreuzfahrtexperte Beat Eichenberger erlebte auf der allerersten Fahrt der neuen Thurgau Ganga Vilas von Kolkata nach Varanasi eine Reise der nicht-alltäglichen Art.
Ganges-Flussschiff Thurgau Ganga Vilas auf seiner ersten Fahrt. ©BE

Derzeit befindet sich die Thurgau Ganga Vilas auf der längsten Flussreise der Welt. 54 Tage dauert die Fahrt auf dem Ganges von Varanasi nach Kolkata (Kalkutta), durch die Sundarbans und auf dem Brahmaputra bis Sigsagar. Das ambitionierte Projekt ist ein grosses Thema in indischen und internationalen Medien, zum Startevent in Varanasi schaltete sich gar der indische Premierminister Modi zu.

Zuvor, als Auftakt und Premierenfahrt des Neubaus, legte das Schiff in 20 Tagen die Strecke von Kolkata nach Varanasi zurück; TRAVEL INSIDE war mit an Bord. Es war das erste Mal seit der Pandemie, dass ein Hotelschiff die selten befahrene Route bis nach Varanasi in Angriff nahm. Eine herausfordernde und aussergewöhnliche Reise, wie sich weisen sollte.

Erbarmungsloser Auftakt in Kolkata

Blumenmarkt in Kolkata ©BE

Kalkota begrüsst die nachtflugmüden Ankömmlinge laut, chaotisch und verstörend. Im wirren Verkehr kämpfen Autos, Velos, Motorräder, Rikschas und Roller mit unablässigem Getute um jeden Zentimeter. Am Strassenrand ein unglaubliches Getümmel von Menschen, Garküchen, Verkaufsständen, Händlern, noch mehr Menschen, Schmutz und Abfall. Die Eindringlichkeit der Szenerien ist kaum fassbar.

Ein geführter Besuch führt zur Wirkungsstätte und zum Grab von Mutter Teresa, tags darauf in das Gewusel des farbenprächtigen Blumenmarkts und zur Töpferkolonie Kumartuli. Im Regierungsviertel zeugen Kolonialbauten von der Geschichte der Stadt, an den breiten Boulevards von Esplanade zerbröckeln einstige Prachtbauten.

Der Gegensatz: Ein Luxusschiff

Elegantes, farbenfrohes Innendesign ©BE

Die Thurgau Ganga Vilas liegt am anderen Ufer des Hugli, einem der Flussarme im Unterlauf des Ganges. Nach ersten atemberaubenden Eindrücken in Kalkota wirkt das im letzten Herbst fertig erstellte Schiff wie eine erholsame, luxuriöse Oase.

In einem traditionellen Baustil gehalten, bietet das Schiff über zwei Passagierdecks in 18 Kabinen Platz für maximal 36 Gäste. Zur Verfügung stehen eine Indoor-Lounge mit Bar, ein Restaurant sowie Fitness- und Spa-Räume. Zuoberst liegt das grosse, zum Teil überdachte Sonnendeck im Lounge-Stil.

Die räumliche Grosszügigkeit und die strahlenden Farben der Wände, azurblau und türkis, purpurrot und safrangelb, sind die ersten prägenden Eindrücke – ein belebender Kontrast zu nebligen Tagen, die noch folgen werden. Hübsche Teppiche schützen die Parkettböden, das Innendesign und die Möblierung ist stylisch und geschmackvoll.

Die 25 Quadratmeter grossen Aussenkabinen, mit allem Komfort ausgestattet, werden von einem riesigen Fenster im Stil eines French Balcony dominiert, das die Landschaft wie auf einer Breitleinwand vorbeiziehen lässt. Leider lässt sich die obere Fensterhälfte nicht absenken, was aber noch korrigiert werden soll.

Raj Singh (li.) und Hans Kaufmann. ©BE

«Es ist nicht nur das neuste, sondern auch das luxuriöseste Schiff auf Ganges und Brahmaputra», versichert Unternehmer Raj Singh von Heritage River Journeys, der die Reise begleitet. Mit den vier Schiffen Bengal Ganga, Ganga Voyager I und II und der neuen Ganga Vilas ist Heritage der grösste Anbieter auf indischen Flüssen.

«Wir arbeiteten schon zuvor mit Heritage zusammen und haben nun die Thurgau Ganga Vilas exklusiv unter Chartervertrag genommen», sagt Hans Kaufmann, Gründer und VR-Präsident von Thurgau Travel, der sich die denkwürdige Reise seines neusten Trumpfs auch nicht entgehen lässt.

Kaufmann freut sich, dass sämtliche Kabinen belegt sind. Viele Gäste sind erfahrene, reisefreudige Weltenbummler. Entsprechend hoch sind da und dort die Erwartungen und Ansprüche an diese nicht eben billige, dreiwöchige Flussreise. Meist hinter den Kulissen koordiniert Thurgau-Reiseleiterin Heike Kanski gewieft die Abläufe

Andere Einblicke am Hugli

Stimmungsbild am Hugli. ©BE

Über 1200 Kilometer beträgt die Fahrtstrecke von Kolkata bis Varanasi, die zuerst auf dem Hugli zurückgelegt wird. Nach dem Ballungsgebiet der Metropole öffnet sich die weite, topfebene Landschaft. Endlos ziehen sich Gemüse- und gelbe Senffelder dahin, dazwischen hohe Banjanbäume, Palmen und Bananenstauden.

Am Ufer sind Frauen mit der Wäsche beschäftigt, Männer schöpfen Wasser über den Körper und Kinder winken dem Schiff zu. Viele zücken ihre Handys und schiessen Bilder des vorüberziehenden Hotelschiffs. Bauerndörfer kauern am Ufer, hohe Kamine der Ziegelbrennereien ragen in den Himmel. Holzfähren queren den Fluss, an Uferstätten werden Tote dem Feuer übergeben.

Landgänge erlauben Einblicke in eine andere Welt: In Matiari, einem in unseren Augen ärmlichen und ungepflegt wirkenden Dorf, wird Metall verarbeitet und kunstvoll geformt. Herumliegender Papier- und Plastikmüll wird uns auf der ganzen Reise begleiten.

Oder Murshidabadm, ein belebtes Ausflugsziel, das mit einer sehenswerten Palastanlage, heute ein Museum, oder den Ruinen einer alten Moschee aufwartet. Überall tummeln sich Massen von Menschen, die die offenbar seltenen westlichen Besucher ständig um Selfies bitten.

Eine unangenehme Erfahrung

Erholung an Deck. ©BE

Überschattet werden die ersten Tage an Bord durch einen unangenehmen Zwischenfall. Jedem Indien-Reisenden dürfte das Risiko einer Magen-Darm-Verstimmung bewusst sein. Dass dies auch auf einem sehr sauberen und mit allen Vorkehrungen auf westliche Gäste ausgerichteten Schiff passieren kann, mussten fast alle Gäste schmerzhaft erfahren.

Vereinzelt geht die offenbar bakteriell verursachte Verstimmung nach ein, zwei Tagen vorüber, andere quälen sich noch längere Zeit mit Nachwirkungen rum. Ein Arzt begleitet von nun an die Reise und gibt Medikamente aus, zwei Gäste mussten aus gesundheitlichen Gründen die Reise abbrechen und nach Hause fliegen.

Die Verunsicherung ist gross: Wie kann so etwas auf einem neuen, nach modernsten Standards erbauten Schiff passieren? Eine eindeutige Erklärung konnte bis zum Ende der Reise nicht eruiert werden. Denkbar ist, dass bei der Manipulation des Trinkwassers (hermetisch abgefülltes «Mineralwasser») etwas schiefgelaufen ist.

Die umweltfreundlichen, wiederauffüllbaren Glasflaschen in den Kabinen wurden jedenfalls sofort durch herkömmliche Plastikfläschchen ersetzt. Kein Zusammenhang dürfte aber mit dem an Bord mehrfach gereinigten Ganges-Wasser bestehen, das ausschliesslich für Dusche, WC, die Wäscherei und Reinigungen genutzt wird.

Paradigmawechsel auf dem Ganges

Die Weite des Ganges. ©BE

Sechs Tage und rund 400 Kilometer nach dem Start in Kolkata erreicht die Thurgau Ganga Vilas die Schleusenanlage von Farakka. Von hier an fährt die Thurgau Ganges Vilas auf dem heiligen Fluss Ganges, der vom Himalaya durch die riesige Ganges-Ebene Richtung Golf von Bengalen strömt. Wir reisen nun durch Bihar, den ärmsten indischen Bundesstaat. Hier ist der Alkoholkonsum strikt untersagt, und das gilt für den Rest der Reise auch auf der Thurgau Ganga Vilas.

Das Landschaftsbild hat sich verändert: Der gewaltige Fluss mäandert über eine Breite von mehreren Kilometern durch die Ebene, das Ufer ist ab und zu nur als ferne Linie zwischen dem sandgrauen Wasser und dem milchigen Winterhimmel erkennbar. «Während des Monsuns kann der Pegel des Ganges über zehn Meter ansteigen und riesige Landflächen überschwemmen», erklärt der hervorragende (deutschsprachige) lokale Reiseleiter Sumit, der uns stets kundig begleitet.

Das Schiff tuckert nun öfters den ganzen Tag auf dem endlos breiten Fluss, der den Horizont oft nur noch erahnen lässt. Die gelegentlichen Landgänge erfolgen stets in der geführten Gruppe, «Ausbüxen» ist kaum möglich. Besuche kleiner Dörfer und Wallfahrtsorte wie Sultanganj oder Simaria mit ihren Tempeln, dem Dorfleben und den gepflegten Feldern sorgen für Abwechslung. Das Schiff wird stets von vielen Menschen begrüsst, die ihre Handys zücken. Ausländische Touristen dürften sich kaum je in diese Gegend verirren.

Beat Eichenberger, Indien

Hier geht es zum 2. Teil der aussergewöhnlichen Ganges-Reise.