Abenteuer Ganges: Protokoll einer aussergewöhnlichen Reise (Teil 2)

Die Herausforderungen für die Thurgau Ganga Vilas auf ihrer langen Fahrt nach Varanasi nehmen zu. Der zweite Teil einer nicht alltäglichen Flussreise.
Ungewöhnliche Landgänge mit der Thurgau Ganga Vilas. ©BE

Die morgendliche Nebeldecke über der Ganges-Ebene wird im Laufe der Reise dichter, die Thurgau Ganga Vilas, auf ihrer 20-tägigen Premierenfahrt von Kolkata nach Varanasi unterwegs, kann oft nicht mehr rechtzeitig Fahrt aufnehmen.

Die endlos weite Landschaft verwischt in einem indifferenten grauen Schleier und die Frage taucht auf: Ist Dezember/Januar die ideale Zeit für diese Reise? Dies will nun auch VR-Präsident Hans Kaufmann von Thurgau Travel, der die Reise initiierte und jetzt auch mitmacht, nochmals prüfen.

Zudem: Je nördlicher wir fahren, desto kälter wird es; das Sonnendeck ist nur noch für Hartgesottene eine Option. Das Bordleben gewinnt deshalb immer mehr an Bedeutung: Die drei Mahlzeiten werden zu wichtigen Fixpunkten im Tagesablauf. Dabei darf die köstliche Küche gelobt werden: Chef Tonmoy und sein Team vermählen gekonnt europäische Anleihen mit einer feinen indischen Note.

Beeindruckende Tanzvorstellungen ©BE

Jeden Morgen früh ist Yoga angesagt, und fast täglich referiert Reiseleiter Sumit über Themen, die uns die Fremdheit Indiens näherbringen: Das Kastensystem, die verwirrende Götterwelt der Hindus, die Lehre Buddhas oder die einstige Bedeutung des Opiumhandels. Keine Abwechslung bietet hingegen die Internet-Verbindung, die unterwegs oft sehr problematisch ist.

Am Abend sind in der Lounge Filmvorstellungen angesagt: Packende Dokus über die Geschichte Indiens oder auch mal ein Bollywood-Movie. Zwei-, dreimal gastieren gar lokale Tanzgruppe auf dem Schiff – beeindruckende Auftritte. Vor allem aber: Während der ganzen Reise kümmert sich die ausserordentlich freundliche und umsichtige Staff mit grosser Hingabe um das Wohl der Gäste.

Ein Fluss zeigt seine Zähne

Hindernis Ponton-Brücke ©BE

Die Reise dauert nun bald zwei Wochen. In Munger wird die Reisegruppe mit Polizeisirene durch die Stadt begleitet, auf dem Marktbummel sorgen Uniformierte dafür, dass sich die Besucher im Gedränge und Gewusel nicht verlieren – die Sicherheit der Gäste wird auf der ganzen Reise grossgeschrieben. Wir reisen durch eine Region, wo sich höchst selten westliche Touristen aufhalten.

Zum Nebel gesellt sich inzwischen aber noch ein weiteres Problem für die ambitionierte Reise der Thurgau Ganga Vilas. Immer öfters muss das Schiff, das einen Tiefgang von 1,4 Meter aufweist, einer Sandbank ausweichen. Oder die Fahrrinne im breiten Fluss, die sich täglich verändern kann, weist Untiefen auf. Ab und zu queren zudem Ponton-Brücken den Fluss, die das Schiff aufhalten.

Die Thurgau Ganga Vilas bleibt immer öfters stundenlang stecken, der Zeitplan kommt unter Druck und geplante Landgänge werden ausgesetzt. Unter den Gästen kommt die Befürchtung auf, dass wir das Ziel Varanasi, das Highlight der Reise, nicht mehr rechtzeitig vor dem Rückflug erreichen.

Kapitän und Lotse suchen den Weg ©BE

«Der Pegelstand des Ganges», sagt Raj Singh von der Reederei Heritage River Journeys, «ist erst im Februar und /März am tiefsten». Doch bereits jetzt, im Januar, entpuppt sich die Weiterfahrt nach Varanasi als echte Herausforderung.

Seit Tagen schon ist ein Lotse an Bord, zudem begleiten uns inzwischen mehrere Schiffe der Inland Waterways Authority. Sie suchen einen Weg durch die weite Wasserlandschaft oder wühlen Sandablagerungen auf.

«Die Premierenfahrt der Ganga Vilas ist auch für den Staat ein wichtiges Projekt und wird deshalb unterstützt», erklärt Raj Singh. Denn die Regierung Modi möchte die kaum befahrene Wasserstrasse des Ganges beleben und lässt bei Farakka eine zweite, grössere Schleuse bauen. Und mit der Thurgau Ganga Vilas soll nach der Pandemie das Comeback des Wasser-Tourismus gefeiert werden.

Ein kluger Entscheid

Sikh-Tempel in Patna ©BE

Patna, hektische und staubige Hauptstadt von Bihar, erkunden wir per E-Rikscha: Nebst dem örtlichen Museum beeindruckt die wichtige, marmorverkleidete Sikh-Tempelanlage. Andernorts ersetzen spontane Landgänge die schwierig gewordene Planung: Hier ein Vertreten der Füsse auf einer Sandbank im Niemandsland, dort ein berührender Besuch in einem Bauerndorf am steilen Ufer, das uns mit Blumenkränzen begrüsst und stolz Einblick in seinen Alltag gewährt.

Weil das Schiff nur noch mühsam vorwärtskommt, fällt das Schiffsmanagement schliesslich den einzig richtigen Entscheid. Um den Besuch von Varanasi zu garantieren, wird die letzte Etappe per Bus zurückgelegt und die Gäste werden im Hotel übernachten. Eine kurzfristige, aufwendige und korrekte Umorganisation, die Respekt verdient.

Nach einem letzten Stopp in Buxar erreicht die Thurgau Ganga Vilas Ghazipur, wo das Schiff wie vielerorts von Ortshonorablen, neugierigen Menschengruppen, einem TV-Team und einem am Uferhang bis zur Anlegestelle ausgelegten Teppich begrüsst wird – wir sind ja schliesslich fast in «offizieller Mission» unterwegs.

Die herzliche Verabschiedung von der liebenswürdigen Staff fällt schwer. Während wir per Bus Richtung Varanasi fahren und in Sarnath, einer der wichtigsten buddhistischen Kultstätten des Landes mit tollem Museum einen Zwischenhalt einlegen, nimmt das Schiff nun ohne Zeitdruck den letzten schwierigen Flussabschnitt bis Varanasi in Angriff, um dort die neue Reisegruppe aufzunehmen.

Krönender Abschluss in Varanasi

Die Ghats von Varanasi ©BE

«Jeder Hindu pilgert einmal im Leben nach Varanasi», erklärt Reiseleiter Sumit. Die Waschung mit Ganges-Wasser an einer der vielen Ghats-Treppen zum Fluss ist das wichtige Ritual. Auch hier zu sterben und am Ufer des Ganges verbrannt zu werden ist ein hehres Ziel, das die Erlösung vom Kreislauf der Widergeburt verspricht.

Abertausende von Pilgern ergiessen sich Tag für Tag durch die Strassen und engen Gassen der Altstadt, die zu den Ghats führen. Der unablässige, unüberblickbare Strom der Menschen, Rikschas, Fahrräder, Mofas und heiligen Kühe vermischt sich zu einem Tohuwabohu, das uns gnadenlos mitreisst und die Sinne zu überfordern droht.

An den berühmten Ghats herrscht mit Pilgern, Bettlern, Gauklern und fliegenden Händlern beinahe eine Art Jahrmarktstimmung. Hier findet jeden Abend eine hinduistische Zeremonie statt, die von Tausenden von Menschen besucht wird. Wir nehmen an Bord eines der vielen Boote daran teil, die sich vor den Ghats aufreihen.

Nebenan steigt unablässig der Rauch der Leichenverbrennungsstätten auf, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Stets von neuem werden in orange Tücher gewickelte Tote herangetragen und neue Holzstösse in Brand gesetzt – eine äusserst beeindruckende Szenerie.

Totenverbrennung am Ganges ©BE

Ein moderner Zugang durchbricht die kilometerlange Stadtfront von Gebäuden, Tempeln, alten Palästen und Sterbehospizen am Gangesufer. Hier entstand vor wenigen Jahren ein weitläufiger «Korridor» zum Vishwanath-Tempel, dem höchsten Heiligtum der Stadt. Endlose Pilgerscharen strömen zum Eingangstor des Tempels, der nur von Hindus betreten werden darf.

Varanasi, der krönende, sinnüberflutende Abschluss einer hindernisreichen, keineswegs alltäglichen Ganges-Reise. Sie katapultierte uns in eine andere, fremdartige, oft gar schockierende aber zugleich stets wieder faszinierende und farbenfrohe Welt der Widersprüche. Ein grossartiges Erlebnis, das die westlichen Alltagsgewohnheiten der Besucher herausforderte – und bereicherte.

Auch die Thurgau Ganga Vilas erreichte schliesslich Varanasi und konnte die Gäste für die historische, 54-tägige längste Flussreise der Welt auf dem Ganges und dem Brahmaputra planmässig aufnehmen und Fahrt aufnehmen. Und: für die erlebte Unbill auf der Premiereneise verspricht Thurgau Travel den Gästen namhafte Rückerstattungen.

Beat Eichenberger, Indien

Hier geht es zum 1. Teil der aussergewöhnlichen Ganges-Reise.