«Das Publikum für grosse Schiffe wird bald zurückkommen»

Der Ex-MSC-Schweiz-Chef Pythagoras Nagos im Gespräch mit TRAVEL INSIDE über den Restart der Kreuzfahrten und neue Herausforderungen in der Cruise-Industrie.
Pythagoras Nagos. ©TI/BE

Pythagoras Nagos, der einst an der Universität Zürich promovierte und heute hier lebt, hat eine lange und erfolgreiche Karriere in der griechischen Schiffsreisenindustrie gemacht. Stationen waren unter anderem Minoan Lines, Hellenic Seaways, Monarch Classic Cruises und Celestyal Cruises, bevor er 2018/19 in Zürich die Verantwortung als Country Manager Schweiz von MSC Cruises übernahm. Heute nutzt Nagos seine langjährigen Erfahrungen und sein grosses Netzwerk als strategischer Berater für verschiedene touristische Projekte in Griechenland und im östlichen Mittelmeer.

Herr Nagos, Athen/Piräus kann sich im aktuellen Restart der Kreuzfahrten als äusserst gefragter Homeport für Cruiselines positionieren – wie erklärt sich das?

Ein wichtiger Grund ist, dass Griechenland schon im letzten Jahr mit der frühen Öffnung für Kreuzfahrten wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Als erste Reederei legte TUI Cruises im Herbst fast zwei Monate lang Fahrten mit Mein Schiff 6 ab Heraklion auf und besuchte dabei auch Piräus und Korfu. Das war ein wichtiger Test für die erfolgreiche Wiederaufnahme von Kreuzfahrten in Griechenland, der sehr positiv verlief.

Diese erfolgreiche Testphase wurde im Herbst/Winter 2020/21 durch eine neue Corona-Welle in Europa wieder gestoppt.

Ja, worauf die griechischen Behörden aber schon Anfang März 2021 erklärt haben, dass man das Land ab 14. Mai wieder für den Incoming-Tourismus öffnen werde. Dieser Erklärung gingen umfangreiche Studien griechischer Gesundheits- und Hygiene-Experten voraus, die in der Folge auch die entsprechenden Protokolle der EU (EU Healthy Gateways) massgeblich beeinflussten. Somit konnten auch bereits früh griechische Häfen wieder verbindliche Verhandlungen mit den Kreuzfahrt-Reedereien aufnehmen.

Warum ist Piräus jetzt vor allem für amerikanische Reedereien so attraktiv?

Weil sämtliche US-Häfen noch für Kreuzfahrten zu sind, suchen amerikanische Reedereien in Europa Abfahrtshäfen, die ideal mit Direktflügen aus ihrem Quellmarkt USA verbunden sind. Auch hier öffnete sich Athen schon früh und suchte neue Anbindungen. Heute gibt es täglich rund zehn direkte Flugverbindungen aus wichtigen US-Hubs wie New York, Miami oder Atlanta, die amerikanische Cruise-Passagiere nach Athen bringen können.

Wobei die Reisenden auch überzeugt sein müssen, dass Griechenland eine sichere Cruise-Destination ist.

Ein wichtiges Element ist in diesem Zusammenhang die Impfkampagne, die in Griechenland sehr gut angelaufen ist. Einerseits wurden mehrere Impfstoffe zugelassen und nicht nur deren zwei, zudem wurde die Impfkampagne zuerst auf den Inseln ausgerollt mit dem Ziel, vorrangig die Bevölkerung in den touristischen Destinationen zu schützen.

Die grossen Kreuzfahrtschiffe laufen ab Athen vor allem die bekannten Hotspots an. Gibt es Bestrebungen, die Vielfalt der möglichen Cruise-Destinationen in der Aegäis zu erweitern?

Tatsächlich ist die Zahl der Anlaufhäfen für grosse Schiffe in Griechenland limitiert. Megaschiffe können etwa in Piräus, Heraklion, Korfu oder Rhodos anlegen, während der Besuch von Santorini oder Mykonos nur mit Tenderbooten möglich ist. In vielen weiteren Destinationen wie Paros, Ios, Milos, den Sporaden oder Volos können nur kleinere Schiffe anlegen, weil dort die entsprechende Hafen- und Service-Infrastruktur fehlt. Hier sind Entwicklungen möglich, die aber auf Grund der räumlichen Gegebenheiten oft nicht mit baulichen Massnahmen realisiert werden können. Deshalb sind Alternativen gefragt: Ich denke dabei etwa an die bereits in Norwegen erfolgreich eingesetzten Seawalks, eine Art schwimmende Gangways vom Land zum Schiff, was eine gute Lösung für die Erschliessung der einen oder anderen neuen Cruise-Destination in der Ageäis oder im Ionischen Meer sein könnte.

Derzeit sorgt das griechische Fährunternehmen Seajets mit dem Ankauf von älteren Kreuzfahrtschiffen für viel Beachtung – was hat Gründer Marios Iliopoulos Ihrer Ansicht nach damit vor?

Als Iliopoulos im letzten Jahr ein Schiff nach dem anderen kaufte ging man noch davon aus, dass er eine neue Kreuzfahrtgesellschaft auf die Beine stellen würde. Doch dies erfordert Zeit und Kapital, möglicherweise hat man bei Seajets auch eine schnellere Erholung des Marktes erwartet. Deshalb war auch eine Kooperation mit Celestyal Cruises denkbar, denn Celestyal hat ja die die technische Wartung der von Iliopoulos zugekauften Schiffe übernommen. Doch dies alles ergab sich bisher nicht, möglicherweise passen auch die Kulturen der beiden Unternehmen nicht zusammen. Ich denke, dass Iliopoulos, der die Schiffe sehr günstig kaufen konnte, diese nun mit Gewinn zum Abwracken verkaufen wird, wie er das ja bereits mit zwei Einheiten getan hat. Vielleicht behält er ein oder zwei Schiffe, um damit doch noch ein neues Projekt zu lancieren oder diese zu noch höheren Preisen zu verkaufen, sobald der Markt für Secondhand-Schiffe wieder anzieht.

Inzwischen hat mit Elixir Cruises und ihrem Schiff Elysium, einem ehemaligen Galapagos-Schiff von Celebrity, eine neue griechische Reederei den Betrieb aufgenommen.

Das ist eine sehr interessante Geschichte, die von unabhängigen Unternehmern entwickelt wurde. Das kleine, komfortable Schiff legt ganz spezielle Routen auf, die einerseits durch die Kykladen, andererseits rund um den Peloponnes führen und auf diesem Level nicht alltäglich sind. Leider fällt die geplante Fahrt durch den Kanal von Korinth dieses Jahr aus, weil die Wasserstrasse wegen eines Erdrutschs voraussichtlich bis Ende Jahr gesperrt ist.

Kleineren Schiffen bis maximal 1000 Passagieren wird ja nach der Pandemie eine gute Zukunft zugesprochen – was heisst das für die grossen Mega- und Gigaliner?

Grosse Schiffe haben viele Vorteile, aber auch einige Nachteile. Technisch sind sie auf dem neusten Stand, sind dank LNG oder Scrubbern umweltfreundlicher, verfügen über eine sehr gute Energieeffizienz – es sind eigentliche technologische Vorreiter. Den Gästen steht eine äusserst vielfältige Resort-Infrastruktur zur Verfügung, und für die Reedereien sind grosse Einheiten bei guter Auslastung dank der Skaleneffekte wahre Geldmaschinen. Ein Nachteil ist im Moment die schiere Grösse, da viele Menschen noch etwas Respekt vor grösseren Massen haben. Die Grösse schränkt zudem die Routenvielfalt ein, da solche Schiffe längst nicht alle Häfen anlaufen können.

Was sind also die Perspektiven für die grossen Schiffe?

Es wird weiterhin ein wichtiges Kundensegment geben, das ein Schiff nicht unbedingt nur wegen der Destinationsvielfalt wählt, sondern wegen der besonderen Erfahrung eines attraktiven, schwimmenden Ferienresorts. Unterhaltung, Spass, Kulinarik, Sport, Geselligkeit und Partys – das sind gerade für jüngere Kunden und Familien Argumente, die zählen. Dieses Publikum wird bald wieder an Bord zurückkommen und die grossen Schiffe füllen, davon bin ich überzeugt.

Das Image der Kreuzfahrten hat aber in den letzten Jahren vielerorts arg gelitten – wie konnte es soweit kommen?

Das Problem ist, dass die Cruise-Industrie nach wie vor viel zu wenig kommuniziert, was gerade im Bereich der Umwelttechnologien getan und investiert wird. Während sich europäische Reedereien stärker um diese Themen kümmern, hört man von amerikanischen Reedereien weniger, was seine kulturellen Gründe haben mag. Es braucht deshalb dringend ein koordiniertes Vorgehen in der Cruise-Industrie um aufzuzeigen, was heute tatsächlich Sache ist.

Wobei gerade das Dreckschleuder-Image weiterhin das Bild prägt.

Was man dabei vergisst ist die Tatsache, dass die Emissions-Problematik heute international reglementiert ist. Immer mehr Neubauten werden mit LNG betrieben, die anderen Schiffe, die weiterhin Schweröl nutzen, müssen Scrubber und Katalysatoren zur Reinigung der Emissionen einbauen oder, wenn dies nicht möglich ist, auf teureres Marine Gasöl wechseln. Das birgt aber auch Gelegenheiten: Wer kontrolliert ein Schiff, das auf hoher See auf Schweröl umstellt und Marine Gasöl nur in Küstennähe und Häfen nutzt?

Müsste man somit die Verwendung von Schweröl gänzlich verbieten?

Ich glaube nicht, dass man den Raffinerien die Produktion von Schweröl verbieten kann, sondern die Cruise-Industrie muss selber für ihr Handeln Verantwortung übernehmen. Oft dominiert aber noch kurzfristiges Gewinnstreben – nur: Was habe ich davon, wenn damit gleichzeitig die Grundlagen meines Geschäfts zerstört wird? Letztlich ist es auch so, dass ältere Schiffe mit mehr als 25 Dienstjahren, die nicht mehr auf neue Standards umgerüstet werden können, schlichtweg nicht mehr in die heutige Zeit passen. Ironischerweise hat nun gerade die Pandemie bewirkt, dass viele Oldies abgewrackt werden.

Anderes Stichwort Overtourismus: Wie kann dieses Thema angepackt werden?

Ein gutes Beispiel ist Dubrovnik, wo seit 2019 eine neue Verordnung mit restriktiveren Anlegebestimmungen gilt. Diese beruht auf vorgängigen Studien des Global Sustainable Tourism Councils, bei denen auch der Kreuzfahrt-Weltverband CLIA mitwirkte, also aussenstehende Organisationen, die mit den Hafenbehörden zusammenarbeiteten. Ähnliche Projekte laufen derzeit in Griechenland für die zwei beliebten Kreuzfahrtdestinationen Heraklion/Kreta und Korfu unter der Führung des GSTC. Dort werden derzeit Befragungen zu Chancen und Risiken des Kreuzfahrttourismus durchgeführt werden als Basis für künftige neue Entscheide und die Entwicklung einer neuen nachhaltigen Wachstumsstrategie der beiden Destinationen. Solche Entscheide werden von der Bevölkerung eher getragen, wenn übergeordnete Organisationen wie die GSTC und CLIA mitwirken als wenn sie nur lokal gefällt werden.

Schliesslich werden nun auch in der Schifffahrt der Klimawandel und CO2-Ausstoss zum bestimmenden Thema.

Der Abschied von fossilen Treibstoffen ist die grösste Herausforderung, die künftig im Raum stehen wird. Mit LNG kommt nun eine Übergangslösung zum Einsatz, die aber nach wie vor nicht CO2-frei ist. Es wird derzeit nicht nur in der Cruise-Industrie intensiv nach neuen Lösungen geforscht – ich könnte mir vorstellen, dass mittel- und langfristig Wasserstoff als Alternative eine Rolle spielen könnte. Der Batteriebetrieb dürfte auf absehbare Zeit nur für kleine Einheiten und eher kurze Distanzen Sinn machen. Auch beim Thema CO2 sind übergeordnete Stellen gefordert, neue Bestimmungen und Regularien zu erlassen.

Eine letzte Frage: Die Pandemie hat bisher mit CMV/Transocean und Pullmantur nur zwei kleineren Reedereien das Genick gebrochen – wie erklärt sich das?

Der globale Cruise-Markt wird zu drei Viertel von vier, fünf Grosskonglomeraten beherrscht. Während MSC als einziges Unternehmen in Privatbesitz ist, handelt es sich bei den grossen amerikanischen Gruppen Carnival, Royal Caribbean und Norwegian um börsennotierte Holdings. Diese haben schon zu Beginn der Pandemie eine Gewinnwarnung ausgesprochen und Refinanzierungen in die Wege geleitet, um die laufenden Layout-Kosten von Hunderten von Millionen Franken begleichen zu können. Die Banken haben keinerlei Interesse, diese Grossreedereien abstürzen zu lassen: Was sollen sie mit vielen Cruiselinern tun, die massiv an Wert verloren haben und für die derzeit kein Markt vorhanden ist? Die Banken waren deshalb gezwungen, bei diesem Spiel mitzumachen, dürften aber ihre Kredite mit restriktiven Konditionen verknüpft haben. Das setzt nun die seit 16 Monaten stillgelegten Reedereien unter Druck, so rasch wie möglich wieder Erträge zu generieren. Deswegen sind jetzt auch alle Reedereien sehr stark an einem raschen, aber gut organisierten und durchdachten Restart interessiert.

(Beat Eichenberger)