Fair unterwegs nimmt die «Kreuzfahrtnation Schweiz» ins Visier

Schweizer Reedereien kontrollieren 42 Kreuzfahrtschiffe. Fair unterwegs fordert mehr Verantwortlichkeit. Beat Eichenberger, Cruise Insider TRAVEL INSIDE, ordnet ein.
Die grösste Schweizer Reederei MSC Cruises betreibt 23 Schiffe. ©MSC

Die in Basel beheimatete Tourismus-NGO Fair unterwegs hat einen Bericht zur Bedeutung der in der Schweiz verankerten (Hochsee-)Kreuzfahrtindustrie veröffentlicht.

In der Schweiz domizilierte Reedereien kontrollieren Hochsee-Kreuzfahrtschiffe, dokumentiert ein Bericht von Fair unterwegs. Dieser wurde auch prominent im «Blick» dargestellt. Gefordert wird dringend mehr Verantwortlichkeit.

Dabei geht es um insgesamt 42 Kreuzfahrtschiffe mit einer kumulierten Kapazität für mehr als 100’000 Gästen und schätzungsweise 35’000 Mitarbeitenden zur See.

Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter Fair unterwegs. ©Fair unterwegs

Damit sei die Schweiz die grösste Kreuzfahrtnation Europas. Im Vergleich komme Deutschlands Kreuzfahrtflotte auf 31 Schiffe und diejenige Grossbritanniens auf 27 Einheiten. Kein Vergleich wurde im Bericht mit den USA gezogen, wo die grossen Cruise-Konglomerate mit den global weitaus grössten Flotten ihren Sitz haben.

Zur weiteren Einordnung: Auch der Hinweis auf die Faktenlage fehlt, dass sämtliche Kreuzfahrtschiffe gerade mal ca. 0,4% der zivilen Schiffe weltweit ausmachen. Bei einer globalen Cruise-Flotte von ungefähr 400 Einheiten kommen die ‘Schweizer Schiffe’ somit auf einen Anteil von rund 0,04% aller Schiffe.

Zudem am Rande ergänzt: Die NGO zitiert die Zahl von im Schnitt rund 150’000 Schweizer Kreuzfahrtgästen, die sich jährlich auf Cruiselinern tummeln. Diese Zahl wird Statista zugeordnet, während die CLIA für das bis anhin stärkste Jahr 2019 die Zahl von 140’000 Schweizer Pax und (nach drei Corona-Jahren) für 2023 von 101’000 Pax ausweist.

Die Schweizer Kreuzfahrt-Reedereien

Folgende Hochsee-Kreuzfahrtunternehmen- und Marken haben ihren rechtlichen Sitz in der Schweiz:

  • MSC Cruises (Genf): 23 Schiffe. Das Unternehmen der Familie Aponte ist die Nr.4 im Cruise-Weltmarkt und hat weitere Neubauten in der Pipeline. MSC ist zudem (und vor allem) Weltmarktführer im Container-Segment.
  • Explora Journeys (Genf): 2 Schiffe. Die neue Luxus-Lifestyle-Marke der MSC Group will ihre Flotte auf sechs Einheiten ausbauen.
  • Viking Ocean (Basel): 11 Schiffe. Auch diese Flotte unter Gründer und Präsident Torstein Hagen wird laufend weiter ausgebaut. Ebenfalls in Basel domiziliert ist das ursprüngliche Standbein Viking River Cruises, einer der grössten Flussreisen-Anbieter.
  • Scenic (Zug): 5 Schiffe. Das ursprünglich australische Flussreisen-Unternehmen von Glen Moroney ist heute mit 2 Schiffen unter der Marke Scenic und 2 Schiffen (und einer Einheit im Bau) unter der Marke Emerald auch auf Hochsee aktiv.
  • Scylla (Baar): 1 Schiff: Das im Segment der Flussreisen engagierte Unternehmen der Reitsma-Familie übernahm 2020 die einstige Bremen von Hapag-Lloyd Cruises und verchartert das Schiff seither unter dem Namen Seaventure u.a. an Iceland Pro Cruises. Es soll bis Ende Jahr verkauft werden.
Lenkungsabgabe für Klimaschutz

Wie der Bericht von Fair unterwegs weiter ausführt, kommen diese ‘Schweizer’ Cruiseliner auf einen CO2-Austoss von über 2 Millionen Tonnen. Allein MSC Cruises weise in ihrem Nachhaltigkeitsbericht rund 2 Millionen Tonnen CO2 aus.

Die «relativ transparente Kommunikation» zum Thema Klimaschutz und den geplanten Umwelt- Massnahmen von MSC Cruises wird von NGO wie Fair unterwegs, NABU oder Friends Of The Earth grundsätzlich positiv beurteilt.

Schlusslicht Viking. ©Viking

Nicht gut weg kommt hingegen Viking Ocean, die keine Umweltschutz- und Klimapläne oder -zahlen veröffentliche und die Schiffe weiterhin mit Schweröl oder je nach lokalen Vorschriften mit Marinediesel betreibe und deshalb das Schlusslicht bilde.

Der Bericht hält fest: «Die von der Schweiz aus operierende Hochseeschifffahrt untersteht zwar seit diesem Jahr dem europäischen Emissionshandel, doch sind die Abgaben vergleichsweise tief». Müssten die Unternehmen auf ihren CO2-Ausstoss die Schweizer CO2-Abgabe bezahlen (120 CHF pro Tonne), kämen mehr als 250 Millionen Franken in einen Klimafonds.

«Mehr Klimaschutz liegt also drin, gerade für ein Binnenland», kommt die NGO zum Schluss. Sie erwartet von der Schweizer Regierung, dass sie von den hiesigen Kreuzfahrtunternehmen eine Klimastrategie mit verbindlichen Reduktionszielen verlangt, wie sie ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null reduzieren will.

Noch eine ergänzende Einordnung: Dieses Ziel haben die UN-Unterorganisation IMO (International Maritime Organization), wie auch die Industrie selber bereits postuliert.

Fair unterwegs spricht sich dafür aus, dass sich die Schweiz international für eine griffige Lenkungsabgabe für den Schiffs- und Flugverkehr einsetze. Zudem könne die Transformation beschleunigt werden, indem auf hier gebuchte Kreuzfahrten eine Klimaabgabe erhoben werde.

Mehr Konzernverantwortung
Beanstandete Löhne. ©BE

Der Bericht der NGO streift noch weitere Bereiche: Bemängelt werden etwa die Arbeitsbedingungen und die Löhne auf Kreuzfahrtschiffen.

«Diese mögen für Mitarbeitende aus dem globalen Süden gut sein, Schweizer Mitarbeitende hingegen können damit kaum Miete und Krankenkasse bezahlen». Dieser Sachverhalt sei der Grund für die «sagenhaft tiefen Preise» einer Kreuzfahrt.

Thematisiert wird auch der Stickstoffausstoss (NOx). Einzig MSC Cruises weise für 2022 Emissionen von 32’454 Tonnen aus, was ungefähr dem jährlichen Einsatz in der Schweizerischen Landwirtschat entspreche. «So schädlich wie die Überdüngung zu Lande ist, so schädlich ist sie auch im Meer und beschleunigt zum Beispiel das Korallensterben», so der Bericht.

Selbst bei der Abwasserreinigung fallen gemäss Fair unterwegs sowohl MSC Cruise wie Viking Ocean ab und bezieht sich dabei auf die Cruise Record Card 2022 des Umweltschutz-Verbandes Friends Of The Erath. In Alaska seien 2023 bei Viking Schiffen gar Übertretungen bei bakteriellen Fäkalwerten festgestellt worden.

Der Bericht kommt zum Schluss, dass es für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards bei Kreuzfahrtschiffen in der Schweiz eine rechtlich verankerte Konzernverantwortung brauche. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde könnte diese dann kontrollieren und Betroffene könnten Verstösse einklagen.

Während die EU ein umfassendes Lieferkettengesetz kennt, fiel in der Schweiz 2020 die Konzernverantwortungsinitiative wegen des Ständemehrs an der Urne durch. «Die Schweizer Regierung hängt der Kreuzfahrtnation Schweiz in Sachen Menschenrecht und Umweltschutz das Schlusslicht an», schliesst der Bericht.

Ausgeklammert wird im Bericht von Fair unterwegs ein näheres Eingehen auf den in der Schifffahrt üblichen Sachverhalt einer Unterscheidung zwischen dem Sitz einer Reederei und der Registrierung der Schiffe in sogenannten Flaggenstaaten, die für die entsprechenden Gesetzte und die Durchsetzung von Vorschriften verantwortlich sind.

Kein einziges der 42 «Schweizer» Kreuzfahrtschiffe fährt unter Schweizer Flagge – ein Sachverhalt, der auch noch für spannende Diskussionen sorgen könnte.

Beat Eichenberger