Laura Meyer: «Reisebüros waren selten so beliebt wie heute»

TRAVEL INSIDE Publizist Kurt Schaad versucht sich der CEO der Hotelplan Group, resp. der Persönlichkeit von Laura Meyer, anzunähern.
Laura Meyer, CEO Hotelplan Group. © Hotelplan Group

Sie hat Jus studiert, bei McKinsey als Beraterin gearbeitet, war in Management-Positionen bei der NZZ, dann bei der UBS und ist jetzt CEO der Hotelplan Group, beim grössten, rein schweizerischen Reiseunternehmen, das ca. 50% seines Umsatzes im Ausland macht.

Laura Meyer ist verheiratet und Mutter von zwei Buben. Gemessen an der Tradition, wie Reiseunternehmen in der Schweiz normalerweise ihre Chefposten besetzen – männlich und in der Wolle gefärbte Touristiker – fällt Laura Meyer nicht nur durch ihren Karriereverlauf und ihr Geschlecht auf, vor allem auch durch ihr Alter.

Mit Jahrgang 81 zählt sie zu den Millennials, der Generation «Y». Da übernimmt eine neue Generation Führungsverantwortung. Auch die Deutsche Aussenministern Annalena Baerbock gehört beispielsweise der Millennium-Generation an.


Laura Meyer, Sie sind keine typische Touristikerin, wenn ich Sie vergleiche mit anderen Führungsfiguren der Branche, bei denen die Touristik in der DNA verankert ist. Sie sind vor gut eineinhalb Jahren ziemlich «frisch» in diese Branche eingestiegen.

Zu Hotelplan kam ich 2018, als ich in den VR eintrat. Für die CEO Wahl relevant waren mein Erfahrungsschatz gerade auch aus anderen Industrien, meine Expertise in konsumnahen Industrien, wo sich Konsumverhalten schnell ändern, und meine funktionalen Kenntnisse in Strategie, Digital, Data, Marketing & Sales.

Schliesslich: Reisen gehört seit meiner Kindheit zu mir. Ich habe in vier Kontinenten und in über 10 Ländern gearbeitet und bis heute 81 Länder bereist.

Was ist anders gegenüber anderen Branchen?

Sie zeichnet sich durch sehr viel Leidenschaft und Engagement fürs Produkt und für den Job aus. Ich sehe es bei unseren Mitarbeitenden. Unglaublich, was sie in dieser herausfordernden Zeit geleistet haben.

Als CEO sind Sie gleich zu Beginn mitten in eine der grössten Krisen hineingeraten. Als Sie Ihr Studium begonnen haben, war gerade die Dotcom-Krise aktuell. Wie haben Sie in Ihrem bisherigen Leben Krisen wahrgenommen?

Wie für viele meiner Generation ist Tschernobyl die erste grosse Krise, an die ich mich erinnere, da war ich fünf Jahre alt. Es war eine beängstigende Situation, man wusste nicht, ob man noch draussen spielen darf.

Das ist typisch für Krisen: Am Anfang herrscht Unsicherheit und Informationsmangel. Es wird darum fast notgedrungen hektisch und mitunter auch nicht angemessen gehandelt. Dieses Muster beobachtete ich später bei fast jeder Krise und darum versuche ich heute, in schwierigen Situationen möglichst die Ruhe zu wahren.

Und jetzt die Corona-Krise, die Sie als CEO vom ersten Tag an in Beschlag genommen hat.

Als ich übernahm im Januar 2021 konnten wir faktisch keine Reisen organisieren. Aber wir haben die Zeit genutzt, um zu zeigen, wofür wir stehen: Für Vertrauen, für Sicherheit, den Partnern Sorge zu tragen aber auch den Kunden Geld zurückzahlen, auch wenn wir es von den Airlines und Hoteliers noch nicht erhalten hatten. Kein Kunde hat mit uns Geld verloren, darauf bin ich stolz.

Andererseits haben wir die Zeit auch genutzt, um mit dem Managementteam und dem VR Ziele klar zu definieren. Wofür stehen wir, wo wollen wir hin, in was wollen wir investieren und in was nicht.

Was sind Ihre Learnings?

Gerade in Krisen kann man beweisen, wofür man steht. Wir haben die Krise auch als Chance gesehen, was dank unserer finanzstarken und langfristig orientierten Mutter Migros möglich war.

In einer Krise muss man immer wieder darauf fokussieren, was man bewegen kann und was nicht. Was ist mein Handlungsspielraum und wie kann ich ihn optimal ausnützen. Den langfristigen Zielen und Überzeugungen treu zu bleiben und trotz Krise in die Zukunft zu investieren. Und natürlich: für Mitarbeitende da zu sein, zu überlegen, was ich für Mitarbeitende tun kann und den Fokus darauf zu legen.

Mit diesen Erkenntnissen: wie funktionieren Sie in die Zukunft geschaut, davon ausgehend, dass das nicht die letzte Krise ist?

Die relativ stabile Welt, die wir hatten, kommt nicht mehr zurück. Wir leben jetzt in dieser VUKA-Welt, die bestimmt ist von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz. Diese Welt geht so schnell nicht mehr weg. Das heisst: die Kadenz von Krisen, sei das Umwelt, Pandemie, politisch, etc., wird hoch bleiben. Aufs Geschäft bezogen heisst das, dass man kurzfristig schnell reaktionsfähig sein und seine Risiken umsichtig managen muss.

Gleichzeitig müssen wir an den längerfristigen Zielen dezidiert und mit Fokus arbeiten und nicht einfach in ein Kurzfristhandeln hineingeraten, sondern Ruhe und Handlungsfreiheit bewahren. Was aber auch wichtig ist: Die Krise hat die Bedeutung von Beratung klar gemacht. Reisebüros feierten ein grosses Comeback und waren selten so beliebt wie heute.

Praktisches Beispiel: die Pandemie hat auch in der Reisebranche zu Entlassungen geführt. Auch bei Ihnen war das, aus nachvollziehbaren Gründen, der Fall. Jetzt, wo das Geschäft wieder anzieht, leiden Sie unter Personalmangel. Gibt es für die nächste Krise daraus ein entsprechendes Learning?

Wir haben sehr schnell reagiert und 2020 eine Restrukturierung vorgenommen. Seither haben wir in der ganzen Schweiz keine einzige Person mehr wegen der Pandemie entlassen. Das war ein sehr bewusster Entscheid. Wir haben auch während der ganzen Pandemie Leute eingestellt und wir stellen auch jetzt Leute ein. Dass derzeit rund 35 Stellen offen sind, ist ein Zeichen dafür, dass wir an die Zukunft glauben.

Jetzt gerade boomt es wieder und man hört ein Jammern in der Branche, dass man zu wenig Leute hat.

Also wir jammern nicht (lacht). Wir sind sehr froh, dass es gut läuft: Wir sind enorm dankbar und stolz auf unsere Mitarbeitenden, die das ausgezeichnet machen, wobei sie derzeit Extraschichten leisten müssen, weil der Personalmarkt tatsächlich etwas ausgetrocknet ist. Aber auch jetzt finden wir hervorragende Leute und es kommen auch regelmässig Leute zurück.

Auf welche kommenden Krisen haben Sie sich speziell eingestellt?

Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass sich die Situation schnell ändern kann. Wir haben jetzt viele Buchungen, doch vielleicht passiert nächste Woche etwas und wir müssen stornieren und umbuchen. Wenn die Tage kälter werden, könnte es anspruchsvoller werden, denn die Anzahl der Viren nimmt im Herbst erfahrungsgemäss zu, dazu haben wir den Krieg in Europa, es kann eine Umweltkatastrophe geschehen, viele Sachen sind möglich – niemand wünscht sich das, aber wir müssen gewappnet sein.

Krisensituationen bringt auch die digitale Revolution mit sich.

In der digitalen Revolution sind wir schon mittendrin. Die Reisebranche ist eine derjenigen, die besonders stark davon bereits verändert wurde. Man sieht das an der Veränderung der Umsatzzahlen einzelner Unternehmen und welches die grössten weltweit sind. Von den traditionellen Unternehmen sind einige aufgekauft worden, andere sind ganz eingegangen.

Bei uns ist bereits mehr als die Hälfte des Umsatzes digital, unser Portfolio hat sich stark gewandelt in den letzten 10 Jahren. Ich bin mit Ihnen aber einig, dass die Entwicklung nicht zu Ende ist. Deshalb ist das eines der Themen, in die wir auch investieren. Wir haben Teams in Berlin aufgebaut und Digitalthemen in der Konzernleitung dediziert gebündelt, um die Kompetenzen noch weiter aufzubauen.

Wie muss ich das verstehen?

Die Teams arbeiten an verschiedenen Digitalthemen, insbesondere was Kunden- und Partnerschnittstellen betrifft. Wobei mir wichtig ist: gerade in der vorher besprochenen VUKA-Welt geniessen Sicherheit und Vertrauen wieder einen höheren Stellenwert. Das ist positiv für uns, weil die Hotelplan Gruppe und unsere Marken schon immer dafür gestanden sind.

Unsere Chance ist, dass wir dieses Vertrauen haben, aber gleichzeitig digital sind. Das haben wir in der Krise gesehen, indem wir sehr viele neue Kunden gewinnen konnten, dank gutem Service und Sicherheit.

Wie ist es mit Metaverse? Da gehe ich mit einer Brille in die Ferien und bleibe zu Hause.

Ich hoffe für Sie, dass sie das nicht machen werden.

Werde ich sehr wahrscheinlich auch nicht mehr erleben

Das Metaverse gibt es faktisch erst ansatzweise und fragmentiert. Aber man sieht schon die möglichen Anwendungen: Dass man von zu Hause aus einen Ort anschauen kann, und man dabei immer näher an die Realität kommt. Das wird jedoch den realen Strand oder die reale Pizza auf dem Dorfplatz nicht ersetzen. Aber es ist eine spannende zusätzliche Quelle für Inspiration, für Wissensaneignung und Entscheidungsfindung, und perspektivisch eine Plattform für die Buchung selber.

Aber an einem neuen Ort sein, aufzuwachen, das Rauschen des Meeres zu hören, das etwas andere Frühstück unter Palmen geniessen – das lässt sich im Metaverse schwer nachbilden. Auch bei dem Thema ist unsere Devise: beobachten, was andere tun, selber Sachen ausprobieren, Erfolge skalieren.

Den Weg in die digitale Zukunft ist nicht einfach zu finden. Mit «Bedfinder», beispielsweise, haben Sie entsprechend negative Erfahrungen machen müssen.

Selber Start-ups aufzubauen ist anspruchsvoll. Und die Erfolgswahrscheinlichkeit ist nicht grösser, wenn ein Corporate das selber probiert. Aber wir haben aus diesen Investments gelernt. Neu haben wir die Möglichkeit über den Venture-Arm der Migros “Sparrow Ventures”, uns an Start-ups indirekt zu beteiligen.

Wievielmal sind Sie schon auf die Nase gefallen?

Immer wieder. Umfallen und lernen und weitermachen.

Gibt’s ein Beispiel, von dem Sie sagen: das war gut, dass ich hier auf die Nase gefallen bin.

Ich überlege mir jeden Tag, was ich hätte anders oder besser machen können, sei es, dass ich nicht zufrieden bin, wie ich ein Meeting gemanagt habe – oder schlicht, dass ich zu spät nach Hause kam.

Wenn ich Ihren Werdegang so anschaue, sind Sie immer mit recht viel Power vorwärtsgeschritten. Sie haben ursprünglich Jus studiert und abgeschlossen. Ein Teil des Studiums auch in Spanien absolviert.

Ich lerne gerne neue Kulturen, Länder und Menschen kennen. Von daher war es auch klar, dass ich ein Jahr im Ausland studiere. Spanien habe ich bevorzugt, weil ich die Sprache lernen wollte. Wir hatten ein Auto und fuhren kreuz und quer durch das ganze Land, seither liebe ich Spanien.

An der INSEAD haben Sie auch noch studiert.

Nach dem Jusstudium bin ich in die Beratung gegangen. Nach zweieinhalb Jahren habe ich dann noch ein MBA-Studium an der INSEAD in Frankreich und Singapur angehängt.

Da ist tatsächlich viel Power vorhanden. Was ist Ihre persönliche Zielsetzung?

In Bezug auf was?

Bezüglich sich selber. Was will ich im Leben? Was sind meine Ziele? Mach ich einfach mal und dann schaue ich, wie das geht und wohin das führt? Wie funktionieren Sie?

(lacht) Das finde ich etwas persönlich.

(Lacht auch) Selbstverständlich.

Ich glaube, was sie fragen ist: «Was ist Ihr Antrieb»

Das fragen alle, das ist eine langweilige Frage. Auf die hat man immer eine vorbereitete Antwort parat. Also gut: Was ist Ihr Antrieb?

Ich habe nicht ein Ziel im Leben. Ich möchte einen positiven Impact haben, Positives und positiv bewegen. Ich bin enorm neugierig. Ich lerne sehr gern neue Sachen. Ich habe gerne Menschen. So. Das ist mein Antrieb.

Und die Energie holen Sie zum Beispiel auch mit Yoga.

Ja. Und wenn ich meinen 2 Jungs hinterherrenne (lacht).

Wie bringen Sie diese 25 Stunden in einen 24-Stunden-Tag?

Auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Aber ich bin einigermassen effizient

Offensichtlich. Was wollen Sie noch Neues lernen?

Das nächste, das ich lernen will? Ich lerne jeden Tag etwas. Ich werde nach diesem Interview etwas gelernt haben.

Was?

Ich habe Kurt Schaad kennengelernt (lacht).

Wir leben in Zeiten des Wandels. Wie nehmen Sie den Wandel wahr?

Ich habe keine Angst vor Veränderungen, sowohl privat wie auch geschäftlich. Veränderungen gehören zum Leben und die Veränderungsgeschwindigkeit erhöht sich. Meine Devise ist, Veränderungen mitzugestalten, Möglichkeiten und Chancen zu sehen im Wandel. Ich will mein Leben und unser Geschäft gestalten und nicht gestaltet werden.

Könnte man Sie, führungsmässig, als «knallhart» bezeichnen?

Da müssten Sie die Mitarbeitenden im Unternehmen fragen. Das Wort «tough cookie» habe ich auch schon gehört, aber auch, dass mir die Menschen sehr wichtig sind.

«Tough cookie» könnte man auch als Kompliment auffassen.

Ich habe eine Vorstellung, wo wir hingehen. Ich habe ein super Führungsteam, dem ich vertraue. Und dann gilt: fordern und fördern. Ziele vereinbaren und diese managen, aber auch stark überlegen, wie ich helfen kann, damit die Leute ihre Ziele erreichen und erfolgreich sind.

Schliesslich ist mir ganz wichtig: Man muss Menschen mögen und sich für sie interessieren. Und zwar ehrlich. Es muss von Herzen kommen, das erlaubt auf der anderen Seite harte Diskussionen in der Sache. Grundsätzlich halte ich die «Verpflichtung zum Widerspruch» hoch: jeder im Meeting ist dazu aufgerufen, sich zu äussern, wenn er oder sie Zweifel hat – egal, ob es der Praktikant oder eine Verwaltungsrätin ist. Im Gegenzug erwarte ich, dass gefällte Entscheide von allen getragen und umgesetzt werden.

Wenn man so neugierig und dynamisch ist wie Sie: Kommt da nicht irgendwann der Wunsch nach Selbständigkeit?

Auch im Management eines Unternehmens sollte man seine Entscheide so fällen, als wenn es das eigene Unternehmen wäre. In diesem Sinn sehe ich mich auch als Unternehmerin, auch wenn ich fest angestellt bin.

Aber schon mal darüber nachgedacht, die eigene Bude zu führen….?

Es hat sicher Komponenten, die spannend sein könnten. Ich würde das nicht für immer ausschliessen. Auf jeden Fall handle ich auch jetzt so, als ob ich auch finanziell «Skin in the Game» hätte.

Interview: Kurt Schaad