Roemer: «Gehe von Länder-Öffnungen in Asien im letzten Quartal aus»

Interview mit Stephan Roemer, Geschäftsführer Tourasia und  CEO Diethelm Travel Group zu den Aussichten für Tourismus nach und in Asien.
Stephan Roemer.

Stephan Roemer, Geschäftsführer Tourasia und  CEO Diethelm Travel Group, zur aktuellen Situation vor Ort, im Veranstalter- und DMC-Geschäft sowie seiner Einschätzung für die Zukunft.


Anfang März sprachen Sie in verschiedenen Medien von einer zunehmenden Normalität in Asien. Wie sehen Sie das heute? Warum lagen Sie so falsch?

Aufgrund der vorliegenden Informationen habe ich die Situation damals tatsächlich anders beurteilt. Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass Asien seit Mitte März keine grossen Zunahmen an Fällen mehr verzeichnet, so etwa in China, Thailand, Myanmar, Laos oder Vietnam. Einige Länder melden nur noch Einzelfälle, meistens auf Rückkehrer aus dem Ausland zurückzuführen. Mit den Philippinen, Indonesien und Singapur haben wir aktuell nur drei Länder, die noch relativ hohe Fallzahlen melden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Eigentlich hätte man seit einigen Wochen von einer Normalisierung der Lage in Asien sprechen können. Doch dann kam der politische Aspekt ins Spiel. Da erkenne ich in Asien ein Problem, das in Europa nicht so ausgeprägt ist, tendenziell aber auch in der Schweiz zunimmt. In Asien entscheiden die sogenannten Corona-Committees, die nun von Gesundheitspolitikern und -experten beherrscht werden. Die sind von Grund auf vorsichtig und wagen kaum gewisse Risiken einzugehen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitiker haben kaum mehr etwas zu sagen. In diesem Konflikt ist nun fast ganz Asien gefangen. In der Schweiz wurde bisher noch immer ein Konsens gefunden, ansonsten hätten wir viel weitergehende Einschnitte in Kauf nehmen müssen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In Thailand liegt nach den Rücktritten von einigen wichtigen Ministern die ganze Entscheidungskraft bei der stärksten Regierungspartei sowie bei Gesundheitspolitikern. Opposition und Wirtschaftsinteressen haben kaum mehr Gewicht, was meiner Meinung nach der falsche Ansatz ist. Thailand hat ganz schwierige Zeiten vor sich. Es gab bereits erste Demonstrationen. Asiaten gehen nur in Not auf die Strasse, das ist oft der einzige Weg, sich Gehör zu verschaffen. An vielen Orten Asiens herrscht derzeit Not und teilweise auch Panik. Die in den letzten Jahren entstandene solide Mittelklasse gerät komplett unter Druck.


«Mit neuen Projekten werden wir auch zum Incoming-Operator»


Fast ganz Asien ist für Touristen geschlossen. Was bedeutet das Stand heute für Tourasia?

Wir haben derzeit für dieses Jahr keine Buchungen, aber ein paar Anfragen und Buchungen für nächstes Jahr, alle im oberen Segment. Bei Tourasia haben wir Kurzarbeit, von 34 Mitarbeitenden sind zwei Personen plus ich im Büro. Den anderen ist es langweilig, sie wollen arbeiten. Und so haben wir uns kostenlos als Erntehelfer angeboten. Doch keine Chance, da gab es bereits zu viele Anfragen.

Gemeinsam haben wir nun etwa 40 Ideen zusammengetragen und eine Auswahl getroffen. Zwei Projekte werden bereits entwickelt und dann von zu Hause freiwillig umgesetzt. So werden wir ab November Kunstausstellungen von asiatischen Künstlern in unseren Büros organisieren, zwei bekannte Künstler haben bereits zugesagt. Und wir werden Schweizer Reisen organisieren, speziell auf Asiaten zugeschnitten. Wir wissen, was sie wollen und werden entsprechende Packages über unsere Tourasia-App anbieten, aber auch über Outgoing-Anbieter in Asien sowie die Büros von DMC Diethelm Travel in  Asien, die ich ja als CEO verantworte. Wir werden also auch zum Incoming-Operator.

Tourasia wird es in der einen oder anderen Form also auch in Zukunft geben?

Aber sicher, und zwar als Anbieter von Asien-Reisen und wer weiss, ob einige der Start-up-Projekte, die wir jetzt verfolgen, Teil unseres zukünftigen Business Modells sein werden. Tourasia steht solide da, aber auch wir werden nicht ohne Beulen und  Flecken aus dieser Krise herauskommen. Ich kann jetzt auch nicht absehen, welche Grösse wir dann haben werden. Dank der Kurzarbeit konnten wir alle Mitarbeitenden behalten und zahlen 100% des Lohns. Einzig von einer Person, für welche wir aufgrund der Digitalisierung keine Zukunftsperspektiven mehr sahen, haben wir uns verabschiedet. Ich versuche das Maximum, um Stellen zu erhalten. In einem Jahr werden wir sehen, wo wir stehen.

Gibt es Konsequenzen falls jemand Ihrer Mitarbeitenden in Quarantäne muss?

Alle bei uns wissen, dass ich das akzeptiere und dass keine Ferien abgezogen werden und die 100%-ige Lohnfortzahlung garantiert ist, sofern die Covid-App des Bundes heruntergeladen und aktiviert ist und die Quarantäne nicht mutwillig verursacht wurde, z.B. mit Ferien in einem Risikoland.

Wie präsentiert sich die Situation an den wichtigsten Destinationen?

In Thailand sind die Strände leer und über das ganze Land sind rund 30-40% der Hotels offen. Im Moment gibt es nur Domestic-Tourismus. Hotspots für Ausländer wie etwa Kata auf Phuket sind wie Geisterstädte. In Bangkok läuft das Leben relativ normal, doch ich weiss von bereits 85 Hotels, die zum Verkauf stehen. Das wird längerfristige Auswirkungen auf den Immobilienmarkt und die Wirtschaft generell haben.

In Myanmar sind einige Hotels offen, aber der Grossteil wird auch 2021 nicht öffnen, da sie die Kosten nicht tragen können. Wir sind wieder beim Stand von 2012, als die Öffnung des Landes und der Tourismusaufschwung starteten. Dieser ganze Boom ist implodiert. Verkehrstechnisch ist Myanmar auf Thailand angewiesen. Sobald Thailand sich für den Tourismus wieder öffnet, wird Myanmar folgen.

Jetzt im Sommer und Herbst wäre China für uns wichtig, doch die Situation ist schwierig zu beurteilen. Das Land hat im Moment einen grossen Domestic-Travel-Boom. Ich habe aber gehört, dass China mit einzelnen Ländern Vereinbarungen für Öffnungen treffen möchte, darunter auch mit der Schweiz. Indonesien möchte im Verlauf des Septembers wieder öffnen.

Wann rechnen Sie wirklich mit ersten Öffnungen und für welche Länder/Ziele?

Das wäre reine Mutmassung. Fakt ist aber, dass für die Malediven nach Bekanntgabe der Öffnung sofort eine Buchungswelle eingesetzt hat, auf einem guten Level und  kurzfristig. Die Leute wollen reisen und sind bereit dafür, auch kurzfristig. Etliche Kunden haben uns gebeten, sie zu kontaktieren, sobald ein Land seine Grenzen wieder öffnet.


«Die Öffnung von Ländern ist nicht mehr eine Pandemiefrage sondern eine politische»


Welche Signale erhalten Sie  von Regierungen und Tourismusverantwortlichen?

Wie gesagt liegt die Entscheidung nicht bei den Tourismusverantwortlichen und dem Tourismusministerium, sondern bei diesen Corona Committees, und die sind allmächtig. Es geht nur noch darum, wie man sich arrangiert. Es ist nicht mehr eine Pandemiefrage sondern eine politische Frage, und zwar überall in Asien.

Kann man die Infrastruktur vor Ort nach monatelangem Lockdown einfach so hochfahren?

Ich rechne zu Beginn nicht mit einem Ansturm an Touristen. Ich könnte mir vorstellen, dass z.B. Thailand starten wird wie in den 80er-Jahren. Also nicht mehr jede Stunde ein Flug von Bangkok nach Phuket, sondern zwei pro Tag, Social Distancing wäre kein Problem bei fast leeren Stränden und nur teilweise geöffnete Hotels. Jedes Land wird die Infrastruktur an die veränderten Gegebenheiten und die reduzierten Touristenströme anpassen. Klar ist aber, Tourismus wird nicht funktionieren wenn bei der Einreise eine 14-tägige Quarantäne auferlegt wird.

Wie geht es den DMC vor Ort? Sie selber sind ja CEO der Diethelm Travel Group mit Büros in 13 asiatischen Ländern?

Da leiden alle. Wir bei Diethelm haben die Situation schnell und früh analysiert und am 26. März alle Mitarbeitenden über die notwendigen Massnahmen informiert, inklusive einem Outlook auf eine längere Zeit. Von den Mitbewerbern wurden wir dafür teilweise kritisiert. Intern war die Zustimmung gross, innert vier Tagen hatten wir fast alle 550 Mitarbeitenden hinter uns. Einige wollten das nicht mittragen und haben die Firma verlassen. Zurückblickend bin ich froh, dass wir so früh reagiert und Massnahmen ergriffen haben. Etliche DMC sind inzwischen unserem Beispiel gefolgt.


«Bei der Diethelm Travel Group mussten wir von 550 auf gut 300 Stellen abbauen»


Wie präsentiert sich die Diethelm Travel Group heute?

Wie alle anderen DMC sind auch wir nicht darum herumgekommen, weitergehende Massnahmen umzusetzen und den Personalbestand anzupassen. Heute sind es noch etwas mehr als 300, denen wir noch immer 50% ihres Gehalts bezahlen. Wir haben auch nichts dagegen, wenn jemand termporär einen anderen Job ausüben kann. Doch es ist allen langweilig, deshalb haben wir Aktivitäten und Schulungsprogramme lanciert, die sehr geschätzt werden. Dazu gehören Englisch- und IT-Schulungen, Hotelbesichtigungen usw. Damit können wir die Leute zu rund 40% beschäftigen. Sobald der Tourismus wieder startet können wir von einem Tag auf den anderen hochfahren. Wir sind bereit. Derzeit kümmert sich in allen Büros ein kleines Team um die anfallenden Arbeiten wie etwa Neubuchungen für 2021 oder um Annullationen.

Sie haben trotz allem einen Katalog Asien 2020/21 lanciert. Ist das einfach eine Neuauflage des alten, oder gibt es Anpassungen?

Es ist ein von Grund auf neu produzierter Katalog mit zahlreichen Anpassungen, neuen Produkten, Hotels und  Destinationen. Der Ausbau des Ausflugsangebots war uns wichtig, da wir davon ausgehen, dass die Kunden aus Sicherheitsgründen in Zukunft eher stationär bleiben und von dort aus Touren machen wollen. Nicht zuletzt wegen Corona aber auch wegen der allgemeinen Entwicklung im asiatischen Tourismus und der Kundennachfrage haben wir nun viel mehr natural social distancing Produkte im Angebot. Und das alles zu höchst attraktiven Preisen.

Macht ein Katalog in dieser Zeit Sinn? Andere setzen auf digitale Blätterkataloge.

Ja unbedingt. Wir wollen zeigen, dass wir innovativ und aktiv sind. Nur ein digitaler Auftritt – wie das jetzt sehr viele machen – kam für uns nicht in Frage.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Wir gehen davon aus, dass wir im letzten Quartal graduelle Öffnungen von Ländern in Asien haben werden. Einiges deutet darauf hin. Wir haben Kunden, die sich bereits aktiv erkundigen für November, Dezember und Januar. Ich rechne damit, dass wir bis Juni 2021 rund 30% des vergleichbaren Volumens von 2019 erreichen werden, von Juli bis Dezember 2021 dann rund 60 bis 70%. Asien hat wenig Fallzahlen und wird preislich überaus attraktiv sein.

(Interview: Urs Hirt)