Touristik-Familienunternehmen: Wie sieht es finanziell aus?

Die Chefs von Amin Travel, Bentour Reisen und Holiday Maker Tours geben Auskunft darüber, wie sie durch die Krise kommen und wie sie die Zukunftsaussichten beurteilen.
V.l.: Reto Amin (Amin Travel), Phililppe Raselli (Holiday Maker Tours) und Deniz Ugur (Bentour Reisen). (zVg)

Ob  klein oder gross, alle in der Touristik tätigen Unternehmen sind von der Corona-Krise betroffen. So auch die Familienunternehmen, von denen es in der Schweizer Reisebranche noch einige gibt. TRAVEL INSIDE hat bei drei von ihnen nachgefragt, wie stark sie betroffen sind, welche Massnahmen umgesetzt wurden und wie sie finanziell für die Zukunft aufgestellt sind.

Es sind dies:

  • Reto Amin, Geschäftsführer Amin Travel GmbH
  • Philippe Raselli, Managing Director Holiday Maker Tours AG
  • Deniz Ugur, Managing Director Bentour Reisen AG

Wie stark sind Sie bisher von der Corona-Krise betroffen?

Amin: Wie jedes Unternehmen im Tourismus sind auch wir sehr stark von der Krise betroffen. Bis Ende Jahr rechnen wir mit einem Umsatzrückgang von rund 80% gegenüber 2019. Obwohl wir mit Portugal, den Azoren, Madeira und Ägypten Destinationen haben, welche gut bereisbar waren und sind, stornieren die meisten Kunden die Reisen oder buchen auf das Jahr 2021 um. Die Quarantäne-Liste macht uns das Leben schwer und die Leute können sich nicht erlauben, nach den Ferien in Quarantäne zu müssen.

Raselli: Wir sind etwa gleich betroffen wie alle Unternehmen, welche primär auf Langstreckentourismus (ausserhalb Europa) spezialisiert sind. Unsere Destinationen haben grösstenteils geschlossene Grenzen oder verfügen über sehr schwierige Einreise-Auflagen was Ferien fast unmöglich macht. Es geht uns also wohl etwa so, wie allen anderen auch.

Ugur: Mit ca. minus 60% beim Umsatz und minus 50% bei den Passagieren sind wir noch mit einem blauen Auge davon gekommen. Wir hatten grosses Glück, dass die Schweiz bis heute zu keinem Zeitpunkt die Türkei als Risikogebiet definiert hat. Diese Entscheidung ist auch richtig, denn tatsächlich sind die Zahlen im Verhältnis zur Bevölkerung gerade in den touristischen Regionen sogar deutlich tiefer als in der Schweiz.

Welche Massnahmen haben sie ergriffen, um diese schwierige Zeit zu überstehen?

Amin: Wir haben für den ganzen Betrieb Kurzarbeit eingeführt und die Kosten soweit als möglich heruntergefahren.

Raselli: Wir haben die Kosten und Ausgaben wo immer möglich reduziert. Wir haben Kurzarbeit beantragt – zu Beginn 50%, inzwischen haben wir auf 80% aufgestockt. Während des Lockdowns haben wir zudem von einer Mietzinsreduktion profitiert. Leider wurde diese nicht verlängert, was sehr schade ist.

Ugur: Wir haben ab Mitte März sofort begonnen mit Leistungsträgern zu sprechen und bilaterale Lösungen zu finden. Von der Mietgesellschaft bis zum IT-Unternehmen. Zu 90% haben wir ohne Diskussionen gute Lösungen gefunden. Diese Bereitschaft ist für uns sehr wertvoll und wir werden nicht vergessen, wer uns in einer schwierigen Zeit die Hand gereicht hat. Auch die staatliche Überbrückungshilfe des Bundes hat unsere Verbundenheit und das Vertrauen in die Institutionen gestärkt. Die Hilfe ist fair gestaltet und langfristig angelegt, deutlich besser als in Deutschland.


Reto Amin: «Die Quarantäne-Liste macht uns das Leben schwer»


Musste man auch Stellen abbauen – wenn ja, wie viele und wie viele Personen umfasst Ihr Team aktuell?

Amin: Tatsächlich mussten wir drei Personen bzw. 220 Stellenprozente abbauen, da kurz- und mittelfristig nicht mit einer raschen Erholung zu rechnen ist. Aktuell umfasst unser Team noch sechs Personen mit total 500 Stellenprozenten.

Raselli: Unser Team umfasst nach wie vor sechs Personen – fünf Vollzeitstellen sowie eine Teilzeitstelle. Bisher mussten wir glücklicherweise niemanden entlassen.

Ugur: Gott sei Dank ist das nicht notwendig. Die Möglichkeit zur Kurzarbeit hilft uns sehr und wir können aufgrund dieser Hilfestellung auf betriebsbedingte Entlassungen verzichten. Wir gehen davon aus, dass wir bereits im kommenden Jahr 2021 zumindest bei den Türkei-Reisen wieder mehr Nachfrage erfahren werden. Dafür brauchen wir gerade jetzt geschultes und erfahrenes Personal. Denn die Komplexität und Flexibilität hat sich aufgrund der behördlichen Einschränkungen eher erhöht. Auch ist der Gesprächsbedarf der Kunden und des stationären Vertriebs höher als in Normalzeiten.


Philippe Raselli: «Die Reserven für die schweren Zeiten liegen nach wie vor auf der Bank»


Die Reisebranche hat nach Einschätzung von Experten ihr ganzes Eigenkapital bereits verbraucht. Trifft das auch auf Ihr Unternehmen zu?

Amin: Wir haben 1984 als Ägyptenspezialist gestartet. In den 36 Jahren mussten wir mit Ägypten leider etliche Krisen durchstehen. Dies sehe ich aktuell als Vorteil. Denn so haben wir gelernt, schwierige Zeiten zu überstehen und verstanden wie wichtig es ist, genug Eigenkapital für solche Zeiten aufzubauen. Daher haben wir noch genügen Reserven.

Raselli: Wir sind ein äusserst bodenständiger Familienbetrieb und sind weder Aktionären noch sonstigen Geldgebern verpflichtet, was in dieser Situation ein grosser Vorteil ist. Wir haben immer schon mit Weitsicht agiert und vernünftig gewirtschaftet – mit dem Ziel vor Augen, das Unternehmen in eine möglichst sichere Zukunft zu führen, da ja auch meine persönliche Zukunft kausal mit derjenigen der Unternehmung zusammenhängt. Geld haben wir in guten Jahren gespart und als Reserven zur Seite gelegt. Diese Reserven für die schweren Zeiten liegen nach wie vor auf der Bank und wir haben sie bis heute nicht angerührt.

Ugur: Definitiv nein, wir hatten und haben genug Eigenkapital. Trotzdem haben wir vorsorglich bereits im April aus eigener Initiative das Eigenkapital auf CHF 2 Mio. aufgestockt, da zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, ob wir im 2020 überhaupt reisen bewegen können. Jetzt ist es ja sogar deutlich besser gelaufen als zunächst vermutet. Im Nachhinein betrachtet wäre eine Aufstockung nicht notwendig gewesen. Für uns war aber auch wichtig, dem Staat zu zeigen das wir, wenn wir Hilfe in Form von Überbrückungskrediten anfordern, auch gleichzeitig bereit sind, selbst neues privates Geld in die Unternehmung zu stecken.


Deniz Ugur: «Der Mittelstand wird in der Krise wieder stärker zusammenarbeiten»


Wie beurteilen Sie die mittelfristigen Ausichten (bis und mit 2021/2022)?

Amin: Eine schwierige Frage, denn dies hängt von sehr vielen Faktoren ab. Insbesondere müssen die Staaten endlich einheitliche Regeln aufstellen und so die Planungssicherheit gewährleisten. Den Winter haben wir sowieso abgeschrieben, aber wir hoffen, dass es ab dem Frühling wieder anzieht. Bis wir das Niveau von 2019 wieder erreichen wird es aber leider noch länger dauern.

Raselli: Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass sich die Lage erst dann beruhigen wird, wenn ein überzeugender Impfstoff respektive ein wirksames Medikament auf dem Markt ist. Vorher wird es mit diesen BAG-Listen und ständig ändernden Einreisebestimmungen sehr schwierig zu planen, was wiederum dazu führt das letzte bisschen Reiselust im Keim zu ersticken. Wir hoffen auf einen baldigen Durchbruch auf der medizinischen Ebene, so dass sich das Reisen wieder «normalisieren» kann und wir alle wieder zurück in den gewohnten Alltag starten dürfen.

Ugur: Wir glauben, dass es in der nahen Zukunft, also bereits im kommenden Jahr ein verstärktes Bedürfnis nach Reisen geben wird. Allerdings möchten die Kunden deutlich mehr Flexibilität  bei der Reiseanmeldung. Wir räumen ab 1. Oktober 2020 diese Möglichkeit ein. Gegen eine Gebühr von CHF 110 bis CHF 370, gestaffelt je nach Reisepreis von CHF 2000 bis CHF 9000, können unsere Kunden bis 14 Tage vor Abreise Ihre Reise absagen. Die Gebühr wird dann 50%/50% zwischen Reisebüro und Reiseveranstalter geteilt. Wir gehen davon aus, dass wir im Segment Türkei-Reisen auf ca. 80% der Zahlen von 2019 kommen werden. Der Mittelstand wird in der Krise wieder stärker zusammenarbeiten. Menschlicher Umgang und Erreichbarkeit erleben eine Renaissance.

(Urs Hirt)