Attila – so geht die Schweizer Kreuzfahrt

TRAVEL INSIDE war auf Kreuzfahrt im Drei-Seen-Land. Das Boutique Boatel Attila ist das erste und einzige derartige Cruise-Produkt in der Schweiz.  
Die Attila an ihrem «Heimsteg» vor dem Hotel Bad Murtensee in Murten. ©BE

Noch erntet man oft ein ungläubiges Lächeln: Eine Kreuzfahrt in der Schweiz…?! Doch genau dies ist seit 2021 in der prächtigen Region am Jurafuss auf dem Murten-, Neuenburger- und Bielersee mit dem Boutique Boatel Attila möglich.

Von Juni bis September legt die Attila regelmässige Wochenend-Cruises (Freitag bis Sonntag) und Time-Out-Cruises (Dienstag bis Freitag) auf und wird auch oft für Business- und Privatanlässe gebucht. Im Dezember und Januar stehen zudem kurze Advents-, Weihnachtsmarkt- und andere Themenfahrten im Programm.

Die ungewöhnliche Attila kann in neun Kabinen maximal 18 Gäste aufnehmen und verfügt hinten auf dem demselben (unteren) Deck über eine Bade-Plattform. Auf dem oberen Deck stehen eine hübsche Captain’s Lounge und ein grosszügiges Sonnendeck zur Verfügung.

Ein ungewöhnliches Projekt
Initiator Richard Hurni

Es ist eine ganz spezielle Geschichte, die das erste und einzige Kreuzfahrtschiff in der Schweiz auszeichnet. «Erbaut wurde das Schiff ursprünglich 1987 in Holland und wurde als Fracht- und Transportschiff in Norddeutschland genutzt», erzählt Richard Hurni, Initiator und treibende Kraft hinter dem Projekt.

Anfang der 1990er-Jahre wurde die Attila in die Schweiz verkauft, wo sie im Drei-Seen-Land für die Expo.02 zum Einsatz kam. Danach diente sie Jahre lang als Frachter, später auch als Event- und Partyschiff, bis sich die Eigner 2018 zum Verkauf entschlossen.

Hurni, der sich damals mit dem Gedanken trug, ein Hausboot zu bauen, wurde auf die Attila aufmerksam. Aber: «Hausboote sind in der Schweiz nicht erlaubt». Doch der nächste Gedanke zündete: Warum aus der Attila nicht ein Hotelschiff machen?!

2018 gründete Richard Hurni zusammen mit zehn Mitstreitenden eine AG, welche die Attila übernahm und mit der Werft in Sugiez den Komplett-Umbau in Angriff nahm. «Es gab keine ‘Blaupause’ – das ganze Konzept und jedes Details musste neu erdacht, entworfen und umgesetzt werden», blickt Hurni zurück.

Auch das Einholen sämtlicher behördlichen Gutachten und Bewilligungen für dieses in der Schweiz erst- und einmalige Projekt war alles andere als ein Fingerlecken. So haben zum Beispiel an den Anlandungsstellen stets die Linienschiffe Priorität.

Eine verblüffende Idee
Das «Container»-Kabinendeck.

In Sugiez wurde das Schiff verlängert und – eine äusserst findige Idee! – mit Containern als Kabinen bestückt, darauf aufgebaut entstanden die Lounge und das Aussendeck. Für das moderne Design konnte das renommierte Atelier Oi in Neuchâtel gewonnen werden.

Die «Container»-Kabinen beeindrucken: Auf 14 Quadratmetern entstanden überraschend stilvolle Unterkünfte mit zwei Einzelbetten, die sich bequem zu einem Doppelbett verschieben lassen. Der Parkettboden und ein modernes Lichtsystem gefallen, aufklappbare Sitze und Schreibflächen überraschen.

Es gibt kleine Ablageflächen, Safe, Minibar und TV, gar Bademäntel sind vorhanden. Die Nasszelle mit Dusche verblüfft durch ihre smarte Funktionalität. Auf der Steuerbordseite zieht sich ein kleiner Balkon mit Sichtblenden über das Schiff, ein Fliegengitter schützt nachts vor ungebetenen Besuchern.

Hinten auf dem Kabinendeck ist da und dort unterwegs ein kühlendes Bad von der Wassersport-Plattform aus möglich, zudem stehen Stand-up-Paddels zur freien Benutzung zur Verfügung.

Das Bord Leben unterwegs
Kapitän René in Aktion.

Über eine Treppe erreicht man das obere Deck. In der gefälligen Captain’s Lounge mit Bar und 2er-Tischen wird morgens ein Frühstücks-Buffet aufgetischt und mittags ein Lunch-Buffet. Die Attila verfügt nicht über eine eigene Küche, die Speisen werden von lokalen Caterern angeliefert.

Abends speisen die Gäste mal in einem ausgewählten Restaurant an Land, so auf unserer Time-Out-Cruise in Le Landerdon im vorzüglichen L’Escarbot. In Neuenburg steht der Abend zur freien Verfügung, und am letzten Abend liefert das Hotel Bad Murtensee ein köstliches Abschieds-Captain’s-Diner aufs Schiff.

«Unsere Pauschalen beinhalten mit Ausnahme eines ‘freien’ Abends alle Mahlzeiten und Snacks, zudem Soft-Drinks und alkoholische Getränke ausser Spirituosen und Cocktails, und auch die Ausflüge und Wifi», erläutert Richard Hurni das Konzept.

Während der Fahrt geniessen die Gäste auf dem grosszügigen Aussendeck die vorüberziehende Landschaft und lassen sich mit Drinks verwöhnen. Speziell: Wegen einer tiefen Eisenbahnbrücke über den Zihlkanal heisst es Kopf einziehen und der Stand des Kapitäns und die Lounge müssen um 1,2 Meter abgesenkt werden.

Perfekt und zentimetergenau legt Kapitän René Goetschi das Schiff jeweils an die Anlandungsstege an, «was bei Wind und Wetter aber nicht immer einfach ist», so der erfahrene Kapitän. Ein Matrose geht ihm jeweils zur Hand, und um das Wohl der Gäste kümmert sich äusserst freundlich und aufmerksam Gästebetreuerin Marlène.

Ein herrliches Fahrtgebiet
Ligerz am Bielersee.

Das Fahrtgebiet der Attila über die drei Seen und Kanäle am Jura-Südfuss durch eine  herrliche, entdeckungswürdige Landschaft ist ebenso erholsam wie vielseitig. «Heimathafen» der Attila ist der Steg beim Hotel Bad Murtensee in Murten.

Durch den Broyekanal geht es in den Neuenburgersee, weiter durch den Zihlkanal in den Bielersee und nach verschiedenen Stopps wieder zurück nach Murten. Überall gibt es etwas zu entdecken – die Ausflüge sind inbegriffen.

Ein kundig geführter Gang führt ins authentische Städtchen Le Landeron, wo die Attila für die erste Nacht anlegt, und auf der Petersinsel lockt ein Besuch des Kloster-Hotels oder ein Bummel über die grüne Halbinsel. Im Weinörtchen Ligerz führt die Vinifuni nach Prèles, die Wanderung durch Reben ist traumhaft.

In Hauterive steht der Besuch des sehenswerten Laténium auf dem Programm, dem grössten archäologischen Museum der Schweiz, und in Neuchâtel, wo die Attila im Hafen die zweite Nacht verbringt, bietet eine kurze Fahrt mit dem Train Touristique vor dem freien Abend einen Überblick über die Stadt.

In La Sauge, am Rande des Naturschutzgebiets Cudrefin, steht ein geführter Besuch des Birdlife mit Suche nach dem berühmten Eisvogel an. Und in La Praz, wieder zurück im Murtensee, lassen sich im Château de Praz die köstlichen Vully-Weine degustieren. Für die letzte Nacht ist die Attila zurück in Murten.

Ein Reisebüro-Thema
Unterwegs an Deck.

«Wir sind nach wie vor ein Start-up, das seine Erfahrungen macht – es gibt ja nichts Vergleichbares», sagt Richard Hurni. Nach einer erfolgreichen Premieren-Saison 2021 während der Pandemie und dem zweiten guten Betriebsjahr zeigt er sich auch für 2023 zufrieden: «Wir werden das Budget erreichen».

Zu den Erfahrungen zählt aber auch, dass die Kosten für das Projekt massiv überschritten wurden. «Mit 4,5 Millionen Franken liegen wir fast zweieinhalb Mal höher als ursprünglich mal geplant».

Inzwischen wurden bereits fünf Aktienkapitalerhöhungen durchgeführt. «Wir starteten mit elf Aktionären, heute sind es über 70. Das Aktionariat ist sehr breit gestreut ohne Hauptanteilseigner», sagt Hurni. Nun hat er eine neue Idee und will mit OOmnium.ch ein Crowdlending lancieren.

Bisher konnte die Attila vor allem Gäste aus der Deutschschweiz begrüssen. Die Kreuzfahrten tragen rund 80% zum Umsatz bei, die Charterfahrten 20%. «Gerade bei Charterfahrten für Familien- oder Firmenanlässe sehen wir noch grosses Potenzial», ist Hurni überzeugt.

Auch an eine Ausweitung der Saison, die bisher von Juni bis September dauerte, denkt der Macher Hurni. Das wäre etwa mit mehr thematischen Fahrten (Golf, Wein, Advent etc.) möglich. Und für nächstes Jahr möchte er auch den Incoming-Markt stärker ins Visier nehmen und ausländische Gäste auf die Attila bringen.

Gebucht wird die Attila etwa zur Hälfte direkt über die eigene Webseite und zur anderen Hälfte über Reisebüros. «Nebst Kuoni vertreibt seit diesem Jahr auch Mittelthurgau unser Produkt. Wir kommissionieren aber auch alle Buchungen von individuellen Reisebüros und möchten diesen Vertriebskanal weiter stärken», sagt Hurni.

Beat Eichenberger, Murten