Tina Neuenschwander: «Reisebüros entdecken Bahnreisen als Business»

Ab 2023 ist Tina Neuenschwander CEO bei Railtour Suisse; ihr Vorgänger Werner Schindler war als Geschäftsführer 23 Jahre im Amt.
Tina Neuenschwander, CEO ab 2023 bei Railtour. © LS

Erst zum vierten Mal kommt es in der 50-jährigen Geschichte des Bahnreiseveranstalters Railtour Suisse zu einem Wechsel auf der obersten Führungsebene.

Tina Neuenschwander, die heutige Vizedirektorin, übernimmt auf 2023 den CEO-Posten von Werner Schindler, der neu Online Travel führen wird.

Im Gespräch mit TRAVEL INSIDE lässt Tina Neuenschwander ihre vergangenen 15 Jahre bei dem Bahnreise-Veranstalter Revue passieren und gibt einen Einblick, was sich in Zukunft bei Railtour verändert.


Tina Neuenschwander, Sie sind seit 15 Jahren bei Railtour und ab 2023 als CEO. Wie hat sich in den letzten 15 Jahren das Unternehmen gewandelt?

Zu Beginn waren die SBB-Reisebüros die Key Vertriebspartner für Pauschalreisen mit der Bahn. Seit 2015 sind die privaten Reisebüros sowie der Onlineverkauf und weitere Themen in den Fokus gerückt. Wir verkaufen nach wie vor mit viel Überzeugung Pauschalreisen mit dem Zug im In- und Ausland an unsere Kunden. Auch bei der Technologie und der Digitalisierung hat sich vieles verändert.

Was zum Beispiel?

Die Einführung vom Dynamic Travelshop und der Bahn Software Railhub, mit denen wir es den Kunden ermöglichen, internationale Tarifvielfalt inkl. den touristische Tarife online zu buchen und mit einem umfangreichen Hotelcontent und Activity Content zu ergänzen.

Hat sich auch der Anspruch der B2B-Stakeholder in der Zeit verändert?

Diese sind mit den Jahren anspruchsvoller geworden. Das kann ich verstehen, denn auch die Kunden sind besser informiert und haben entsprechend höhere Ansprüche an die Beratung. Der Service muss stimmen und die Reise muss einfach buchbar sein.

Wir bauen dazu auch das Angebot für die Reisebüros aus, in dem wir das Spezialistentum nicht nur bei der Bahn stärken, sondern auch bei den Hotels und Aktivitäten in der Schweiz und in umliegenden Ländern. Zu einer Bahnfahrt gehört zum Beispiel auch das richtige Hotel in einer Stadt, ein tolles Konzerterlebnis oder ein kulinarischer Rundgang auf einem lokalen Markt. Wir machen das Gesamterlebnis komplett, alles buchbar in einem Tool.

Wir werden im Januar mit weiteren News auf den Markt kommen, von denen die Reisebüros weiter profitieren. Ausserdem bauen wir die Kataloge aus.

Inwieweit planen Sie, die Arbeit von Werner Schindler fortzusetzen?

Ich bin seit 2011 in der Geschäftsleitung von Railtour und war in den wesentlichen Entwicklungen der letzten Jahre involviert. Ich plane, zusammen mit meinem Führungsteam, die aktuellen Themen rund um die Bahn-Pauschalreise und Bahntechnologie, weiterzuentwickeln und entsprechend die Arbeit von Werner fortzusetzten.

Wenn jemand nach 22 Jahren als Geschäftsführer und nach 37 Jahren in der Unternehmung in eine andere Aufgabe wechselt, entsteht eine Lücke, die ausgefüllt werden muss. Das Führungsteam und auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen um mich herum sind top und wir freuen uns auf all die spannenden Aufgaben, die uns erwarten.

Innert fünfzig Jahren hat Railtour mit Ihnen erst die vierte Führungskraft als CEO. Empfinden Sie das als Fluch oder Segen für Ihre künftige Arbeit?

Eher als Segen, es zeigt für mich eine sehr hohe Kontinuität, wenn eine 50jährige Unternehmung erst so wenige CEOs hatte. Es hängt sicher auch mit unseren Eigentümern zusammen. Für mich ist es wichtig, dass diese Kontinuität auch weiterhin vorhanden ist – wir werden ab dem 1. Januar 2023 nicht alles auf den Kopf stellen.

Hat die Pandemie Railtour eher Chancen gegeben?

Ja, eine Krise ist meiner Meinung nach immer auch eine Chance. Wir konnten Prozesse optimieren und Produkte verbessern sowie weiterentwickeln. Wir haben uns anschauen können, was gut ist und wo wir etwas verändern sollten. Es tönt vielleicht speziell, aber durch die Pandemie hat man die Zeit dazu bekommen. Eine Chance ist für mich das Homeoffice. Ich finde es wichtig, dass man flexibel arbeiten kann und dies hat die Pandemie beschleunigt. Ich bin überzeugt, das hilft auch in Zukunft, gute Mitarbeitende zu finden, die das Unternehmen vorantreiben wollen.

Eine Chance ist auch, wie viele Reisebüros Bahnreisen als Business im Reisebüro neu entdeckt haben. Die Pandemie hatte das Reisen in der Nähe und die damit verbundenen Möglichkeiten gestärkt. Der gleiche Kunde, welcher nach Mauritius oder Mallorca reist, macht auch einen Städtetrip mit der Bahn nach München.

Wie sieht es da mit dem Thema Fachkräftemangel aus? Haben Sie damit auch zu kämpfen?

Wir können uns bis jetzt nicht beklagen, wir haben sehr gute neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gefunden. Das Thema Bahn und die Nachhaltigkeit sind Themen, die auch junge Menschen beschäftigen und dies hilft uns sicher. Im IT-Bereich kämpfen auch wir mit dem Fachkräftemangel.

Wie viele Mitarbeitende gibt es aktuell bei Railtour?

Dies ist saisonal unterschiedlich. Im Schnitt haben wir circa 60 Mitarbeitende. Der Altersdurchschnitt ist in den letzten Jahren gesunken: einige langjährige Kolleginnen und Kollegen sind in den letzten Jahren in Pension gegangen und dadurch sind wir automatisch jünger geworden.

Wo stehen ‘Travelshop’ und ‘Railhub’ heute und was sind die Entwicklungsziele?

Unser übergeordnetes Ziel ist es, dass Zugreisen einfach buchbar sind. Beim Railhub haben wir sämtliche grossen Bahnunternehmen angeschlossen. Weitere Schnittstellen sind in Planung. Beim Travelshop sind wir laufend an Optimierungen, um die Reise mit der Bahn noch mehr zu vereinfachen und die Oberfläche für die Kunden ansprechend zu halten.

Bei den Reisebüros ist die Wahrnehmung der verschiedenen Bahntarife oft zu komplex. Wir haben mit dem Travelshop für die Reisebüros ein hervorragendes Buchungstool geschaffen, wo Bahnreisen verständlich und simply touch buchbar sind. Und das Beste, das Hotel und die Stadtrundfahrt ist als Pauschalreise gleich dazu buchbar.

Gibt es da Schwierigkeiten, die es zu lösen gibt?

Die Hauptherausforderung ist, immer auf dem aktuellen Stand zu sein, was die Technologie anbelangt. Das Tempo mitzuhalten und dass man das Richtige macht, ist entscheidend.

Welche Strategie verfolgen Sie mit Online Travel, insbesondere nachdem Gründer Thomas Egger an Ihren Vorgänger Werner Schindler übergeben hat?

Die Zusammenarbeit mit Online Travel ist schon in den letzten Jahren sehr eng; da wir einer der Hauptkunden von Online Travel sind, konnten wir auch massgebend Einfluss auf die Entwicklungsschwerpunkte nehmen. An der Strategie, dass Online Travel weiterhin unabhängig ihre Technologielösungen im europäischen Umfeld verkauft, wird sich nichts ändern.

Wie soll die Zusammenarbeit mit der österreichischen Rail Tours Touristik GmbH in Zukunft aussehen?

Der Deal ist gerade erst zustande gekommen, wir erarbeiten zurzeit die Grundsätze der zukünftigen Zusammenarbeit. Zusammen wollen wir die Pauschalreise mit dem Zug weiter entwickeln. Dadurch, dass wir die gleichen Interessen haben, können wir strategisch viel mehr Kraft in die Vermarktung, in den Verkauf und auch in die Entwicklung von Produkten und Technologie legen.

Wie kam es zu der Kooperation?

Sie haben Technologie gesucht und wir haben in den letzten Jahren die Technologie mit Online Travel zusammen entwickelt. Uns hilft die Kooperation, auch die Technologie schneller voranzutreiben. Es ist also eine Win-Win-Situation für uns. Zudem hatten wir wegen der Nachtzüge, die aktuell unglaublich gefragt sind, viel Kontakt mit der ÖBB.

Was wird die Zukunft für Bahnreisen bringen?

Für die Kunden verbesserte Verbindungen und direkte Züge in mittlere und grössere europäische Destinationen, wie zum Beispiel der neue Nachtzug nach Dresden und nach Prag. Aber auch verbessertes Wagenmaterial und dadurch automatisch einen besseren Komfort bei den Nachtzügen. Weiter kommen auch immer wieder neue Bahn-Erlebnisreisen auf den Markt wie der neue Luxuzug ‘Le Grand Tour’ in Frankreich oder in der Schweiz der neue Golden Pass Express von Montreux nach Interlaken.

Und im Zusammenhang mit der SBB? Wurden zum Fahrplanwechsel auch Bedürfnisse bei Railtour abgefragt?

Nein, direkt auf den Fahrplan bezogen werden wir nicht «befragt». Aber wir sind in einem stetigen Austausch mit der SBB, was die Vermarktung der internationalen Bahnreise angeht. So unterstützen wir gemeinsam neue Direktzüge oder andere neue Angebote ab der Schweiz ins Ausland.

Wo sehen Sie die grösste Konkurrenz zu Reisen mit der Bahn?

Die Hauptkonkurrenz ist das Auto. Auf der anderen Seite ist es für viele Leute keine Option, mit dem Auto in die Städte hineinzufahren. Auch deshalb ist es wichtig, dass es möglichst viele Direktverbindungen mit dem Zug aus der Schweiz gibt. Ich persönlich finde, dass wir uns mit den anderen Playern – auch mit dem Flugzeug und mit dem Car – auch ergänzen und nicht nur in Konkurrenz sind. Man kann auch nach Neapel fliegen und mit dem Zug weiter nach Brindisi fahren, um das schöne Apulien zu entdecken.

Nehmen Sie denn auch mal das Flugzeug anstatt den Zug?

Ja, es gibt Situationen und private Reisen, wo das Flugzeug zum Zug kommt. Ich prüfe aber immer, ob der Zug eine Option ist. Ich bin schon oft mit dem Zug in die Ferien gefahren. Ich stamme aus einer Bähnler-Familie. Als Kind bin ich mit meinen Eltern meistens mit dem Zug in die Ferien gefahren.

Gibt es etwas, das Sie besonders überrascht oder beeindruckt hat bei einer Zugreise?

Da gibt es verschiedene Erlebnisse. Auf einer Australienrundreise habe ich einen Teil im Ghan, dem Erlebniszug zwischen Darwin und Adelaide, zurückgelegt. Man erlebt das Land ganz anders, wenn es langsam vor dem Fenster vorbeizieht und man gleichzeitig die Annehmlichkeiten eines Zuges hat. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele Bahnstrecken, die politische und bautechnische Meisterleistungen sind. Z.B. die Flambahn in Norwegen, die von den Fjorden ins Hochland führt oder der TGV Corse, welcher mit dem TGV zwischen Zürich und Paris nicht viele Gemeinsamkeiten hat.

Das Bahnfahren in Italien in den späten 1990er Jahren werde ich auch nie vergessen. Da war jeder Sitzplatz gefühlt dreimal vergeben und jeder sass oder stand irgendwo in den Gängen. Dies nicht für 15 Minuten, sondern für drei bis vier Stunden. Dies ist heute ganz anders. Man steigt in Mailand in den Zug und ist drei Stunden später mit 300 km/h in Rom – mitunter auch mit moderneren Zügen als in der Schweiz. Diese Veränderung ist sicher sehr positiv für das Reisen mit dem Zug.

Interview: Luisa Schmidt